Die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod geben könnte, wird heute in der Wissenschaft kaum diskutiert. Denn nach der vorherrschenden Meinung ist alles, was existiert, physisch; darüber hinaus gibt es nichts. Sobald der physische Körper stirbt, wäre demnach für den Menschen alles „aus“. Diese materialistische Sichtweise, der Physikalismus, wird kaum in Frage gestellt. Dabei könnte diese Weltanschauung ein einziger großer Irrtum sein. David Schuy fasst in diesem Beitrag grundlegende Einwände gegen den Physikalismus zusammen.
Stellen wir uns vor, wir stehen auf einer Dachterrasse und blicken auf eine Skyline. Hochhäuser recken sich in den Himmel, ihre Fassaden glänzen im Licht der untergehenden Sonne. Wir sehen klare Konturen, geometrische Formen, ein Spiel aus Licht und Schatten. Die moderne Physik würde dieses Bild bis ins kleinste Detail beschreiben können: Die Höhe der Gebäude in Metern, die Masse des Betons, den Brechungswinkel des Lichts an den Glasfronten. Vielleicht sogar die elektrischen Ladungen der Atome, die magnetischen Felder, die Spin-Zustände der Teilchen.
Doch Bernardo Kastrup (Titelfoto), ein führender Denker des Idealismus, stellt eine radikale Frage: Glauben wir wirklich, dass diese Zahlen die wahre Natur der Skyline erfassen?
Kastrup hält dem Physikalismus – der dominierenden Philosophie, dass alles Existierende letztlich aus Materie und physikalischen Gesetzen besteht – einen Spiegel vor. Sein Vorwurf: Der Physikalismus hat sich in einer Welt der reinen Abstraktion verirrt. Er beschreibt die Welt mit mathematischen Konturen, Formeln und Gleichungen, doch er kann nicht erklären, was diese Welt ist – und erst recht nicht, warum wir sie erleben.
Die Physik sieht die Konturen – aber nicht die Welt
Wenn wir auf die Skyline blicken, sehen wir mehr als Zahlen. Wir sehen Farben, wir empfinden Staunen, vielleicht Ehrfurcht oder Nostalgie. Doch die Physik kennt keine Ehrfurcht. Sie beschreibt nur Höhen und Breiten, Dichte und Masse – als wären die Hochhäuser nichts weiter als mathematische Objekte in einem gigantischen, kosmischen Koordinatensystem.
Kastrup macht darauf aufmerksam, dass der Physikalismus sich auf eine seltsame Annahme stützt: Er nimmt die mathematischen Beschreibungen der Welt als ihre eigentliche Realität. Die Skyline existiert für den Physiker nicht als das, was wir erleben, sondern nur als eine Sammlung quantitativer Werte.
Und genau hier liegt das Problem:
Wie soll eine rein quantitative Welt eine qualitative Erfahrung hervorbringen?
Die Physik kann messen, dass Licht mit einer bestimmten Wellenlänge auf unsere Augen trifft, dass Neuronen elektrische Impulse senden. Doch sie kann nicht erklären, warum sich Blau blau anfühlt. Warum wir Ehrfurcht empfinden. Warum es überhaupt ein subjektives Erleben gibt.
Das ist das berühmte „Hard Problem of Consciousness“, formuliert von David Chalmers, einem australischen Philosophen: Warum gibt es ein inneres Erleben, wenn das Universum angeblich nur aus toter Materie besteht?
Eine Welt aus Gleichungen?
Nehmen wir den Physikalismus beim Wort: Die gesamte Realität besteht aus mathematischen Relationen. Das Universum ist ein Geflecht aus Zahlen, physikalischen Gesetzen und geometrischen Strukturen.
Doch hier kommt der entscheidende Punkt:
Wie soll eine Gleichung existieren – ohne ein Bewusstsein, das sie denkt?
Mathematik ist kein eigenständiges Ding. Sie ist ein Konzept, eine Sprache, eine Art, die Welt zu beschreiben. Doch sie ist nicht die Welt selbst.
Kastrup führt ein faszinierendes Gedankenexperiment an: Stellen wir uns einen völlig leeren Raum vor. Keine Materie, kein Licht – nur Dunkelheit und Leere. Und darin schweben mathematische Gleichungen. Sie beschreiben die Welt in Perfektion. Doch existiert hier wirklich etwas?
Nein. Denn selbst diese Vorstellung eines leeren Raums mit Gleichungen ist bereits eine mentale Konstruktion – ein Gedanke innerhalb unseres Bewusstseins.
Wenn die Welt wirklich nur aus Mathematik bestünde, dann wäre sie eine reine Abstraktion. Doch Abstraktionen existieren nicht von selbst – sie existieren nur in einem denkenden Geist.
Die große Verwechslung: Die Karte ist nicht das Gebiet
Kastrup nutzt eine treffende Metapher:
Eine Landkarte kann eine Stadt perfekt darstellen – Straßen, Gebäude, Parks. Sie kann Entfernungen und Höhenunterschiede exakt angeben. Doch die Karte ist nicht die Stadt. Sie enthält keine Geräusche, keine Gerüche, keine Emotionen.
Genauso ist die mathematische Beschreibung der Welt nicht die Welt selbst.
Der Physikalismus begeht den fundamentalen Fehler, die Karte mit dem Gebiet zu verwechseln. Er glaubt, wenn er die Skyline mathematisch beschrieben hat, habe er sie verstanden. Doch was ist mit dem Gefühl, sie zu sehen? Was ist mit der Erfahrung, in ihr zu leben?
Der Idealismus als Lösung: Realität ist Bewusstsein
Wenn die physikalische Welt nur eine Abstraktion ist, was bleibt dann? Kastrups Antwort ist ebenso kühn wie einfach:
Die physische Welt existiert nicht unabhängig von Bewusstsein – sie ist eine Erscheinung innerhalb des Bewusstseins.
Er vergleicht unsere Realität mit einem Traum.
In einem Traum erleben wir Gebäude, Landschaften, Menschen. Sie haben klare Formen, messbare Größen, physikalische Konsistenz.
Doch sie existieren nur innerhalb unseres Geistes.
Genauso könnte es mit der „physischen“ Welt sein: Sie ist nicht wirklich „da draußen“, sondern eine Manifestation eines universellen Bewusstseins.
Dieser Gedanke ist radikal, aber er löst das zentrale Problem des Physikalismus:
Die Mathematik beschreibt die Welt, aber sie ist nicht die Welt.
Bewusstsein ist nicht das Nebenprodukt einer quantitativen Realität – es ist die Grundlage, aus der Realität erst entsteht.
Materielle Phänomene sind nicht die Realität, sondern Erscheinungen innerhalb des Bewusstseins – genau wie Traumerlebnisse.
Ein blinder Fleck in der Wissenschaft
Bernardo Kastrup hält der modernen Wissenschaft einen Spiegel vor. Der Physikalismus hat uns viel gebracht – Technologie, Medizin, Raumfahrt. Doch er hat auch einen entscheidenden Fehler gemacht:
Er hat die Welt auf Zahlen reduziert und dabei vergessen, dass Zahlen nicht existieren können, ohne ein Bewusstsein, das sie interpretiert.
Die Skyline, die wir sehen, ist nicht einfach nur eine Sammlung geometrischer Konturen und physikalischer Werte. Sie ist eine Erfahrung. Eine Erfahrung, die nicht aus toter Materie oder abstrakten Gleichungen entstehen kann – sondern nur aus Bewusstsein selbst.
Vielleicht ist es an der Zeit, unser Weltbild neu zu denken. Nicht als eine kalte, leere Maschine aus mathematischen Relationen – sondern als ein lebendiges Bewusstsein, das sich selbst erfährt.
Wunderschön gesagt. Ja daran glaube ich auch, aber ich denke, dass es jeder der auch nur ein wenig seine Augen und Ohren geöffnet hat, es sieht und spürt, dass da mehr ist als nur Physikalische Materie.
Es tut gut solche Texte zu lesen.
Ich glaube, ich muss diesen Text, noch ein paar mal durchlesen. Danke Herr Schuy