Befreites Bewusstsein | Ed Kelly im Gespräch

Edward Kelly ist Professor an der Virginia University, USA. Er hat eine Ausbildung im Bereich experimenteller Psychologie und Neurowissenschaft, hat sich aber auch viele Jahre lang in die Parapsychologie vertieft. Er arbeitet in der Abteilung für Wahrnehmungsstudien, die Bewusstseinsforschung auch im Bereich von Nahtoderfahrungen, Psi-Phänomenen und die Reinkarnations-Erforschung betreibt. Kelly hat mehrere Bücher herausgegeben, zuletzt „Consciousness Unbound“ – Befreites Bewusstsein.

In diesem Interview geht es um Inhalte dieses Buches sowie um die Ergebnisse von Ed Kellys Jahrzehnte langer Forschungsarbeit.

Befreites Bewusstsein | Ed Kelly im Gespräch

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Lassen Sie uns unmittelbar auf das Thema „Bewusstsein und Gehirn“ zu sprechen kommen. Einer Ihrer Vorträge hatte den Titel „Bewusstsein ist mehr als ein Produkt der Gehirnaktivität“. Diese Aussage widerspricht dem heutigen wissenschaftlichen Verständnis. Wie sind Sie denn zu dieser Ansicht gekommen?

KELLY: Sie umfasst eigentlich meine ganze Karriere. Ich habe mich zum ersten Mal für Psi-Phänomene, Parapsychologie und übersinnliche Forschung interessiert, als ich die Untersuchungen für meine Dissertation beendet hatte. Bei dieser ging es um die Frage, wie Computer englische Texte – unter Anführungszeichen – „verstehen“. Schon damals begann ich mich für diese Themen zu interessieren, und zwar hauptsächlich deshalb, weil es offenbar Phänomene gab, die eindeutig den Mainstream-Ansichten widersprechen. Ich war zwar ziemlich schnell überzeugt davon, dass diese Phänomene echt sind, aber gleichzeitig – und ich denke, dass es den meisten so geht, die sich für dieses Thema interessieren und es, wie ich, wissenschaftlich betrachten wollen – hoffte ich, dass die Erforschung dieser Phänomene zu kleinen Veränderungen in unserem Weltbild führen würde. Mit der Zeit aber, im Lauf der Jahrzehnte, wurde mir klar, dass das nicht geschieht, sondern dass viel radikalere Änderungen an unseren Grundideen über die Welt notwendig sind, um nicht nur Psi-Phänomene, also parapsychologische Themen, sondern auch das Bewusstsein in einer erweiterten wissenschaftsbasierten Theorie über die Welt unterzubringen. Ich habe den Eindruck, dass wir inzwischen längst genügend Beweise haben, um die Existenz von Psi-Phänomenen als etwas Natürliches zu belegen. Wir arbeiten jetzt vorrangig an einer Art Theorie, die einerseits mit den neuesten Erkenntnissen in der Physik übereinstimmt – insbesondere mit der Quantentheorie oder der Relativitätstheorie –, gleichzeitig aber auch diese anderen Themen umfasst. Und ich glaube, wir kommen in dieser Richtung voran. Ich behaupte keineswegs, dass wir schon endgültige Antworten haben, aber wir kommen bei diesen schwierigen Themen doch voran.

Sie haben sich sehr mit der Geschichte der Bewusstseinsforschung beschäftigt. In Ihren Büchern und Schriften geht es um Geist jenseits des Physikalismus. Was, würden Sie sagen, sind die bedeutendsten oder wichtigsten Meilensteine in den letzten 50 bis 100 Jahren Forschung?

KELLY: Ich denke, dass Bewusstseinsforschung Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal an Bedeutung gewonnen hat und zwar durch die Arbeiten von Persönlichkeiten wie Frederic Myers, William James, Henri Bergson und Kollegen. Sie alle hatten mit der „Society for Psychical Research“, einer Gesellschaft zur Erforschung parapsychologischer Phänomene in England zu tun. William James starb 1910. Wenig später gab James B. Watson sein behavioristisches Manifest heraus. Er war ein US-amerikanischer Psychologe, der behauptete, dass die echte wissenschaftliche Psychologie nichts über Bewusstsein, das Innenleben eines Menschen, die Vorstellungskraft oder Erfahrungen jeglicher Art aussagen würde; dass es nur um Stimulation und Reaktion ginge sowie um die Beziehungen zwischen diesen Elementen. Sein Werk erschien im Jahr 1913. Wenn man es heute liest, kann man kaum glauben, dass es irgendjemand ernst genommen hat. Trotzdem waren die darauf folgenden 50 Jahre in der amerikanischen Psychologie völlig von dieser Sichtweise geprägt. Natürlich entwickelte sich die Psychoanalyse in verschiedene Richtungen weiter. In Europa war man von Watsons Sichtweise nicht so stark beeinflusst wie in den USA. Als ich in den 1960er-Jahren Doktorand war, wurde über den Begriff des Bewusstseins in der wissenschaftlichen Gesellschaft einfach nicht gesprochen – leider, es war wirklich so. V. F. Skin war der dominierende Mann an unserem Institut für Psychologie. Ich hatte Gelegenheit, einen Kurs von Noam Chomsky über kartesische Linguistik zu besuchen. Chomsky hat später ein Buch darüber veröffentlicht. Irgendwann fragte ihn jemand, was er von der amerikanischen experimentellen Psychologie halte, und seine Antwort war für die damalige Zeit total schockierend. Er sagte: „Meines Erachtens werden die ersten 50 Jahre der amerikanischen experimentellen Psychologie als Fußnote in der Wissenschaftsgeschichte enden.“ Aber so sieht es jetzt wirklich aus. Man hört heutzutage kaum mehr etwas davon. Seit den 1960er Jahren gibt es eine große Richtungsänderung – meiner Meinung nach nicht weitgehend genug, aber es geht definitiv in eine bessere Richtung.

In der Zeit um die Jahrhundertwende war, wie man Schriften entnehmen kann, eine Aufbruchsstimmung zu spüren, Optimismus. Die Menschen interessierten sich sehr für übernatürliche Phänomene. Es gab spirituelle Kreise, mediale Jenseitskontakte wurden gepflegt, man schrieb darüber in den Zeitungen. Und natürlich dachten oder hofften die Wissenschaftler, dass sie die wichtigen Menschheitsfragen bald würden lösen könnten. Aber offenbar konnten wir später nie mehr an diese Aufbruchsstimmung und die Bemühungen von damals, vor über 100 Jahren, anschließen. Stimmen Sie diesem Eindruck zu?

KELLY: Ich denke, das stimmt. Das Interesse an diesen Phänomenen wächst und schwindet und wächst dann wieder. Ich glaube, wir befinden uns jetzt in einer Wachstumsphase – zumindest was den Zeitraum meiner beruflichen Karriere anlangt. Sie hat mit der Parapsychologie begonnen, im Labor von J. B. Rhine, in Durham, North Carolina. Er war Dekan gewesen, hatte sich in den Ruhestand begeben und war vom Campus weggezogen. Aber dann widmete er seine Aufmerksamkeit dem experimentellen Kartenraten, Würfeln und so weiter. Viele seiner Experimente waren sehr gut, aber doch auf einen engen Bereich fokussiert – die ursprünglichen Visionen der Gründer der „Society for Psychical Research“ gingen da deutlich weiter. Zum Glück gab es anderswo Menschen, die diese Forschungen vorantrieben. Einer davon war Gardner Murphy. Er war ein amerikanischer Psychologe, der die Tradition der SPR pflegte, und dann war da auch noch Ian Stevenson von der University of Virginia, der unsere Abteilung um 1967 oder 1969 gründete. Ich habe vergessen, wann genau. Seit den 1970-er Jahren ist vieles offener geworden, sogar auf der experimentellen Seite, weil die Leute, die Experimente durchführten, die Geschichte dieser Phänomene und auch ihr spontanes Erscheinen ernster zu nehmen begannen. Ich glaube, dass wir durch die Anpassung experimenteller Verfahren besser darin geworden sind, bestimmte Phänomene hervorzurufen, wie zum Beispiel das sogenannte Ganzfeld und das Remote-Viewing-Paradoxon. Die erste große Veröffentlichung der SPR hatte den Titel „Phantasms of the Living“. Darin ging es um Fälle von Erscheinungen. Es ist ein wunderbares, ziemlich dickes Buch in zwei Bänden. Was man damals schon erkannte, war, dass viele Fälle in hypnagogischen Zuständen aufzutreten scheinen, die zwischen dem Wach- und dem Schlafzustand auftreten, also entweder am Morgen oder Abend. Diese Zustände, in denen wir doch einige Zeit verbringen, scheinen diese Phänomene irgendwie zu fördern. Diese Erkenntnis war wichtig für die Ganzfeld-Forschung, die ja versucht, so einen Zustand zu erzeugen, und die regelmäßig eine höhere Trefferquote erzielt als zum Beispiel Kartenrat-Experimente. Und ich glaube, wir haben in diesem Bereich noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt. Ein Großteil der berichteten Psi-Phänomene wird auffällig oft mit bestimmten Menschen in Verbindung gebracht, wie Schamanen oder Medien, und mit hypnotischen Ritualen und der Art von Bewusstseinszuständen, die diese Leute zumindest hin und wieder erleben können. Daher setze ich mich seit langem dafür ein, das Studium dieser ungewöhnlichen Bewusstseinszustände voranzutreiben. Denn damit verbindet sich die Hoffnung, dass wir Psi-Phänomene kontrollieren können.

Also mit anderen Worten: Leute ins Boot holen, von denen bekannt ist, dass sie diese Fähigkeiten haben.

KELLY: Ja, wenn man eine ungewöhnliche Fähigkeit studieren möchte, muss man Menschen finden, die diese auch haben. Bei meiner eigenen Arbeit habe ich mich hauptsächlich mit Spezialfällen beschäftigt. 

Sind Sie in all den Jahren zu besonders herausragenden Ergebnissen gelangt?

KELLY: Ich hatte das große Glück, ab 1972 für J. B. Rhine arbeiten zu können. Damals lernte ich einer der besten Probanden kennen, die jemals in ein experimentelles Parapsychologie-Labor kamen. Bill konnte praktisch alles, worum wir ihn baten. Wir haben eine lange Reihe von Experimenten mit ihm gemacht. Als wir ihn entdeckten, war er ein Jurastudent in Yale und im ersten Studienjahr. Er pausierte dann sein Studium ein Jahr lang, um in dieser Zeit mit uns zu arbeiten. Wir haben viele sehr erfolgreiche Experimente mit ihm gemacht und einige wissenschaftliche Arbeiten über ihn veröffentlicht. Das hat damals meine letzten Zweifel über die Echtheit solcher Phänomene ausgeräumt. 

Welche Fähigkeiten hatte er denn?

KELLY: Wir machten Experimente mit Spielkarten, und er erriet die Karten dreimal so oft als es zu erwarten gewesen wäre, und das bei tausenden Versuchen. Dann manipulierte er die Reihenfolge der Karten eines Kartenstapels, sodass die Karten mit einem entfernten Kartenstapel übereinstimmten, indem er die Karten nur kurz mischte. Und er war mit viele kleinen Aufgaben erfolgreich, die wir ihm gaben. Aber bei unseren Experimenten ging es hauptsächlich um das Mischen und Erraten von Karten. 

Zeigten sich seine Fähigkeiten auch im Alltag oder nur im Labor, wenn es darum ging, Karten zu erraten?

KELLY: Als Bill zum ersten Mal zu uns kam, wohnte er ungefähr sechs Wochen lang in meinem Haus, und das war wirklich eine der faszinierendsten, aber trotzdem eine der verstörendsten Erfahrungen meines Lebens. Denn dieser Mensch lebte in einer Art alternativem Universum seltsamer Ereignisse. Als frisch gebackener Akademiker mit Doktortitel war ich mir ziemlich sicher, dass ich wusste, was passieren konnte und was nicht. Aber er hat mich sofort vom Gegenteil überzeugt. Um nur ein seltsames Beispiel zu nennen: Wir sind öfters zum Waschautomaten in der Nähe gegangen, um unsere Kleidung zu reinigen, und einmal sagte er plötzlich: „Ed, Du brauchst eine Cola. Und wenn Du jetzt eine Münze in den Automaten steckst, dann bekommst Du nicht nur eine Cola, sondern auch einen 1964er-Nickel als Wechselgeld.“ Ich hatte keinen Durst, aber ich steckte eine Münze in den Automaten und bekam die Cola und den 1964er-Nickel. Und dann sagte ich: „Wenn ich das nochmal mache, kriege ich noch einen 1964er-Nickel?“ Und er sagte: „Ja.“ Und dann habe ich das gemacht und ich bekam noch so eine Münze. Soll ich Ihnen noch ein anderes Beispiel nennen?

Ja, gern! 

KELLY: Zum Frühstück aß er immer gerne Cheerios und leerte sich regelmäßig eine große Portion in eine Schüssel. Eines Morgens fragte ich spontan: „Bill, wie viele Cheerios sind in dieser Schüssel?“ Ich kann mich nicht mehr an die genaue Zahl erinnern, aber er sagte so etwas wie 464. Viele Cheerios waren natürlich von den darüber liegenden verdeckt. Auf jeden Fall habe ich dann nachgezählt, und die Zahl, die er genannt hatte, stimmte tatsächlich. Das war einfach nur skurril. 

Ja, das kann man nicht erklären.

KELLY: Ich erzähle Ihnen noch von einer weiteren Begebenheit: Ich hatte etwas gemeinsam mit ein paar Freunden aus Harvard unternommen, und als ich nach einer Präsentation mit Bill an meiner Seite hinausging, begleitete uns Mike Smith, ein wichtiger Mann, einer meiner Harvard-Freunde. Er sagte spontan: „Bill, ich denke an eine Zahl zwischen 1 und 100. Welche Zahl ist es?“ Bill dachte einen Moment nach, sagte ihm eine – und sie stimmte. Dann bat Mike Bill, eine weitere Nummer zu erraten, und sie stimmte wieder. Und schließlich fragte Mike nochmal, aber Bill meinte: „Tut mir Leid, es ist jetzt genug. Ich habe getan, was Sie von mir wollten!“

Was hat Sie ursprünglich zur Parapsychologie gebracht?

KELLY: Es war eine bedeutende Zeit für mich – damals, als ich an meiner Dissertation arbeitete. Das Hauptergebnis dieser Arbeit war meine Überzeugung, dass die weit verbreiteten Erwartungen, Computer hätten die Fähigkeit, Sprache zu verstehen, unrealistisch sind. An so etwas konnte ich damals nicht mehr glauben. Und ich glaube auch heute nicht, dass irgendein Computer es jemals schaffen könnte, zwischen metaphorischer Wahrheit und wörtlicher Unwahrheit zu unterscheiden.

Was ich damit meine, ist, dass Computer überhaupt nichts verstehen – weil sie kein Bewusstsein haben. Das war sehr beunruhigend, weil ich meine Karriere diesem Thema hatte widmen wollen. Nun saß ich da und überlegte, was ich tun könnte. Da erhielt ich eines Tages einen Anruf von meiner Mutter. Sie erzählte mir, dass meine ältere Schwester ein Medium geworden sei, und sie dachte, dass ich alles darüber wüsste, weil ich ja ein Doktorat in Psychologie machte. Es war mir klar, dass sie sich Sorgen machte und nicht genau wusste, welche Folgen das haben könnte. Deshalb hoffte sie auf meine Hilfe. Aber ich wusste natürlich nichts über Medialität. Ich kannte lediglich das Wort. Also ging ich in die Bibliothek und stellte zu meinem Erstaunen fest, dass sich William James über viele Jahre seines Lebens mit diesem und verwandten Themen beschäftigt hatte. Und da stieß ich zum ersten Mal auf Literatur über experimentelle Parapsychologie. Da waren Reihen voll mit Büchern von Autoren, die über diese Dinge berichteten und mir vertraute Forschungsmethoden anwandten. So wurde mein Interesse geweckt. Ich las ein paar Werke, begann mit J. B. Rhine zu korrespondieren, und er lud mich anschließend zum üblichen Einstiegstraining ein, 400 Dollar im Monat, sechs Monate Probezeit. Und, wie man so schön sagt, der Rest ist Geschichte.

Wo stehen wir in der Bewusstseinsforschung heute? Sind wir näher an der Wahrheit als vor 100 Jahren?

KELLY: Ich denke, wir können jetzt dort anschließen, wo die Forscher, die ich zuvor erwähnt habe – Myers, James, Bergson und ein paar andere – begonnen haben. Davon handeln auch meine drei Bücher. Das letzte hat den Titel „Consciousness Unbound“ – Befreites Bewusstsein. Paul Marshall und ich sind die Herausgeber, und das Buch handelt, wie es der Untertitel ausdrückt, davon, den Geist von der Tyrannei des Materialismus zu befreien. Auf unsere Gegner mag das provokant wirken, aber ich denke, dieses Buch ist noch besser gelungen als „Jenseits des Physikalismus“. Es bietet neue theoretische Beiträge und einen wissenschaftlich fundierten Überblick zu den Themen Vorahnung, Nahtoderfahrung und Reinkarnation – das alles im ersten Teil des Buches.

Die Bewusstseinsforschung erlebte natürlich auch innerhalb der Mainstream-Wissenschaft eine enorme Renaissance. Viele Theorien wurden entwickelt, neurowissenschaftliche Theorien über das Bewusstsein. Es wird viel über deren Unterschiede diskutiert, aber im Grundsätzlichen ähneln sie einander sehr, und zwar in zentralen Punkten. Vor allem handelt es sich um konventionelle physikalische Produktionstheorien, die davon ausgehen, dass Geist und Bewusstsein durch neurophysiologische Prozesse im Gehirn entstehen. Sie unterscheiden sich lediglich in den Details darüber, wie das geschehen könnte. Zwar behauptet keiner dieser Forscher, es zu verstehen, aber sie alle vertreten die Ansicht, dass man für eine Bewusstseinserfahrung ein Gehirn haben muss, das schwingende neuroelektrische Aktivitäten produzieren kann – bei einer Frequenz zwischen vielleicht 6 und 70 Hertz oder so ähnlich. Und dass diese Aktivitäten über große Bereiche des Gehirns koordiniert werden müssen. Sie denken im Speziellen, dass das System des Thalamus, dass die wechselseitige Verbindung des Zwischenhirns und der Großhirnrinde gesund genug sein muss, um Bewusstseins-Prozesse zu ermöglichen. Obwohl im Detail nicht klar ist, was da passieren soll, herrscht in den Neurowissenschaften über diese Vorgänge Einigkeit.

Auch Pim van Lommel befasst sich in seinem Buch „Endloses Bewusstsein“ mit dieser Frage. Es geht also um die Annahme, dass man ein elektromagnetisches Feld braucht, ohne das es kein Bewusstsein gibt. Richtig?

KELLY: Das ist eine Version, oder ein Aspekt der Theorie. Pim ist ein Kardiologe, der viel über Nahtoderfahrungen geschrieben hat. Er kennt sich dabei sehr gut aus. Das führt uns zur Bedeutung bestimmter Kategorien von Nahtoderfahrungen, die die Produktionstheorien in Frage stellen. Nicht nur sie tun das, aber meiner Meinung nach könnte die NDE-Forschung potentiell am meisten verändern. Vielleicht sollten wir näher darauf eingehen.

Gerne!

KELLY: Es gibt viele, viele Nahtoderfahrungen. Millionen von Menschen haben sie weltweit erlebt. Bruce Greyson, unser Kollege an der Uni, hat übrigens ein wichtiges Buch darüber geschrieben. Es heißt „Nahtod – Grenzerfahrungen zwischen den Welten“ und fasst seine mehr als 40-jährige Arbeit über Nahtoderfahrungen zusammen. Die Kategorie von Nahtoderfahrungen, die meiner Meinung nach am wichtigsten ist, betrifft die, die unter extremen physiologischen Bedingungen wie tiefer Vollnarkose oder Herzstillstand auftreten. Auch Koma kann dazu gehören, aber das ist ein komplizierteres Thema, das wir hier nicht vertiefen müssen. Wichtig ist, dass es sich um Bedingungen handelt, bei denen die Gehirnfunktionen stark beeinträchtigt oder ganz weg sind. Funktionen, die von Neurowissenschaftlern als Voraussetzung für die Existenz von Bewusstsein betrachtet werden. Und diese Leute erleben trotzdem nicht nur irgend etwas, sondern die tief greifendsten Bewusstseinserfahrungen ihres ganzen Lebens. Und ich glaube – das hängt wesentlich mit der modernen biomedizinischen Wissenschaft zusammen – wir werden immer mehr erfahren, denn die Wiederbelebungsmedizin wird zunehmend erfolgreich. Man wird immer mehr Menschen vom Rande des Todes zurückholen und deren Geschichten hören. Und die wichtigsten sind die, die wir „Zeitanker-Fälle“ nennen. Das heißt, die Person wacht nach einem Vorfall auf und erzählt von den Dingen, die während der Zeit ihrer scheinbaren Bewusstlosigkeit passiert sind. Sie kann über diese Dinge genau und korrekt berichten. Zum Beispiel, was im Operationssaal passiert ist. Es können visuelle Eindrücke sein, obwohl die Augen der Person abgedeckt waren, oder sie hat etwas gehört, obwohl sie Kopfhörer auf hatte – zum Beispiel ein lautes Piepen, das von der Überwachung der Hirnstammfunktionen und dergleichen herrührte. Oder sie hat sich an weit entfernten Orten befunden und es ist zu der Zeit dort wirklich das passiert, was sie beschreibt. Natürlich behaupten viele Mainstream-Anhänger, dass das nur Anekdoten sind. Sie ignorieren die Literatur und die Forschung zu solchen ungewöhnlichen Bewusstseinsphänomenen und schreiben sie besonderen Umständen zu, die sich nicht wiederholen. Einige Leute fühlen sich von solchen Erfahrungen bedroht und geben sich Mühe, sie zu ignorieren.

Reagieren Ihre Gegner im Allgemeinen auf Ihre Veröffentlichungen und Ihre Arbeit und die Ihrer Kollegen, oder ignorieren sie sie eher?

KELLY: Die meisten ignorieren sie im Regelfall, aber es gibt eine kleine Gruppe von Leuten, die ihr Geld als professionelle Skeptiker des Übernatürlichen verdienen. Die James Randis dieser Welt. Der weilt nicht mehr unter uns, und ich gebe zu, dass ich ihn nicht wirklich vermisse. Mit ihm hatte ich eine meiner ersten Kritiker-Erfahrungen. Ich saß beim Friseur und sah mir die Morgenshow „Hier ist Randi“ an. Darin erklärte er, wie Uri Geller angeblich bei der Untersuchung seiner Fernwahrnehmungs-Fähigkeiten im Stanford Research Institute getrickst hat. Sie hatten Geller dort in eine doppelwandige Stahlkammer eingesperrt, und er kam mit einer Zeichnung und einer Beschreibung des Objekts außerhalb des Raumes heraus. Randi behauptete, das erklären zu können. Geller habe einen kleinen Ring an seinem Finger gehabt und einen Zeichenblock, den ihm niemand abgenommen hatte. Und während man dann über das Objekt außerhalb der Stahlkammer sprach, habe er schnell etwas auf den Block gezeichnet. Das war eine glatte Lüge, und Randi wusste genau, dass das nicht so funktioniert hatte. Er hat diese Erklärung erfunden, um Uri Geller zu „entlarven“. Das ist sehr typisch für solche Leute. Natürlich nicht für alle. Es gibt einige, die versuchen, echte, wissenschaftliche Kritik zu üben. Aber das allgemeine Niveau der Kritik war bisher, auch historisch gesehen, immer sehr tief. Über das unseriöse Verhalten von Kritikern wurden auch schon Bücher geschrieben, und ich habe es auch selbst erfahren. 

Unsere Karten-Studie mit diesem besonderen Probanden wurde fünf Jahre nach ihrer Veröffentlichung von Persi Diaconis, einem heute angesehenen Statistiker, heftig kritisiert. Damals war er ein junger Mann. Ich war mit dem Probanden nach Harvard gegangen und hatte versucht, etwas Geld vom Hudson Fund zu bekommen, wo sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts Geld angehäuft hatte; man hat uns dann übrigens auch eine Förderung gegeben. Ich hatte also ein paar Leute zu einer Vorführung eingeladen, darunter Fred Mosteller, den damals wichtigsten Harvard-Statistiker und Leiter des Instituts. Aber er weigerte sich zu kommen, was mich ziemlich überrascht hat. Stattdessen schickte er Persi Diaconis zu dem Treffen, ohne mir etwas davon zu sagen. Persi ist sowohl Statistiker als auch Bühnen-Zauberer. Und fünf Jahre später erschien von ihm ein Artikel im Science-Magazin, allerdings keine kritische wissenschaftliche Arbeit, sondern er tat hier einfach seine Meinung kund. Fred Mosteller war damals Vorsitzender des Verlags, und ich vermute, dass er Persi dazu angeregt hat, diesen Artikel einzureichen. Jedenfalls schrieb er: Ja, es gebe diese Experimente, die ja ganz gut aussähen, aber er wüsste, was wirklich dahinter stecke, denn er sei bei dieser Veranstaltung gewesen. Und dann erklärte er seine Vermutungen, wie der Proband beim Kartenraten gemogelt habe. In Wahrheit hat er dort einfach ein paar Beispiele für sein Können gezeigt. Persi aber bezeichnete diese Vorführungen als „Experimente“. Das war wirklich merkwürdig. Also habe ich ihn mehrmals kontaktiert und versucht, das richtigzustellen. Ich habe auch einen Artikel beim Science-Magazin eingereicht. Aber sie haben ihn wohl nicht einmal angeschaut. Etwa sechs Monate später rief mich ein Redakteur, der für die Leserbriefe verantwortlich war, an, um zu fragen, welche drei Sätze ich aus meinem 18-seitigen Manuskript als Brief an den Chefredakteur veröffentlicht haben wolle. Mit solchen Begebenheiten sind wir konfrontiert … denn: Solche Dinge kann und darf es einfach nicht geben.

Was denken Sie: Wie wird man später einmal über das heutige naturalistisch-physikalische Weltbild oder über den Ursprung des Bewusstseins denken – in 100 Jahren oder so?

KELLY: In Bezug auf die parapsychologischen Aspekte hab ich schon mehrmals geschrieben, dass ich denke, zukünftige Soziologen, Wissenschaftsphilosophen und Wissenschaftshistoriker werden viel Arbeit und ein gutes Einkommen mit ihren Analysen zur Frage haben, warum die wissenschaftliche Community so lange gebraucht hat, um hier nachzukommen. Es ist einfach so offensichtlich, dass es diese Dinge gibt, schon seit Jahrhunderten, und trotzdem müssen wir um deren Anerkennung kämpfen. 

Um ehrlich zu sein: Ich selbst interessiere mich inzwischen weniger für die Parapsychologie an und für sich. Denn sie ist nur ein Nebenaspekt tieferer Bewusstseinszustände, die jetzt für mich zum wichtigsten Thema geworden sind. Ich glaube, dass die konventionelle Physik auf dem Holzweg ist und ich denke, dass das, was sie ersetzen wird, ziemlich sicher das absolute Gegenteil der heutigen Annahmen vertreten wird. Es wird eine Theorie geben, in der das Bewusstsein die Grundlage von allem ist, nicht die Materie, wie klassisch vermutet wird. 

Ich möchte hinzufügen, dass ich am Anfang selbst, wie die meisten Wissenschaftler, gegen jede Art einer idealistischen Weltanschauung rebelliert habe. So etwas erschien mir einfach allzu seltsam. Die klassische Sichtweise hingegen, mit der wir alle aufgewachsen sind, erschien vernünftig und einleuchtend. Aber sie versagt eben ab dem Punkt, wenn es um das Bewusstsein und damit verbundene Phänomene geht. Sie funktioniert für materielle Dinge, und wir leben auch gut mit dem materialistischen Weltbild. Es erscheint uns selbstverständlich, dass wir auf diese Art und Weise über Dinge nachdenken. Jetzt komplett umzudenken und das Bewusstsein miteinzubeziehen, fällt nicht so leicht. Ich habe schon Jahrzehnte lang damit gekämpft. Wenn ich einem konventionellen Physiker nahe lege, die Möglichkeit einer idealistischen Metaphysik ernst zu nehmen, dann wird er mir im Regelfall zwar Recht geben, Schwierigkeiten damit zu haben, das Bewusstsein mit physikalischen Begriffen zu erklären. Aber er wird behaupten: „Sie haben genau das gegenteilige Problem. Wie erklärt man Materie mit idealistischen Begriffen?“

Was meinen Sie genau damit, etwas mit „idealistischen Begriffen“ zu erklären?

KELLY: Im klassischen Materialismus heißt es, dass die Realität im Grunde aus kleinen Teilchen besteht, die in Kraftfeldern herumfliegen und so weiter, und dass alles andere daraus entsteht, auch das Bewusstsein. Es gibt Modelle, die alle möglichen Dinge erklären, insbesondere in der physischen Welt. Aber mit psychologischen Gegebenheiten ist es anders – das haben wir in unserem Buch zum Thema des „nicht reduzierbaren Geistes“ belegt. 

Wenn ein Physiker meint, dass es nicht möglich sei, Materie zu erklären, indem man Bewusstsein als das Ursprüngliche betrachtet, dann möchte ich ihn auf eine Asymmetrie hinweisen, die im Regelfall noch immer übersehen wird: Der Idealist muss Materie gar nicht erklären, denn „Materie“ ist nur ein Konstrukt, das wir über Jahrhunderte entwickelt haben, um verschiedene Dinge erklären zu können. Was wir im Rahmen idealistischer Begriffe wirklich erklären müssen, sind die Gesetzmäßigkeiten in den Erfahrungen selbst. Und ich denke, das könnte möglich sein. Allerdings ist derzeit noch nicht wirklich absehbar, welche Theorie letztlich richtig sein wird. Ich denke, es wird eine Art monistischer Idealismus sein. Allerdings gibt es immer noch viele, die sich für zwei Aspekte aussprechen, um das, was wir über die physische Welt bisher gelernt haben, weiterhin zu würdigen, es aber durch eine Dimension des Bewusstseins zu ergänzen.  

In meinem Buch zum „befreiten Bewusstsein“ erwähne ich Federico Faggin, einen der echten Pioniere im Bereich der Mikroelektronik. Er entwickelte leistungsfähige Mikroprozessoren, eine grundlegende Kerntechnologie. Aber er hat auch über Jahrzehnte mystische Erfahrungen gemacht und seine eigenen Grundannahmen zur Realität überdacht. Jetzt hat er eine Stiftung für weitere Studien gegründet. Er hat seine Bewusstseinstheorie in einem Kapitel unseres Buches skizziert. Er ist auch in Kontakt mit einem italienischen Quantentheoretiker namens Gariano, der davon ausgeht, die gesamte Quantentheorie in Bezug auf grundlegende Informationstypen erklären zu können. Das ist ein großer Schritt in die Richtung einer detaillierten idealistischen Alternative zum herkömmlichen Physikalismus. Viele arbeiten in dieser Richtung, das finde ich sehr spannend. Es gibt dabei noch keinen klaren Gewinner, aber eine Menge Leute arbeiten daran, Konventionen zu ändern, um Alternativen zum Physikalismus zu finden.

Nach all diesen Arbeiten und Kooperationen – welches Welt- und Menschenbild haben Sie selbst entwickelt?

KELLY: Es war die Belohnung dafür, sich diesem Thema zu widmen. Ich bin selbst nicht gut genug ausgerüstet, um diesen Aspekt der Dinge näher zu erforschen. Aber, wie ich es auch im Epilog meines Buches ausdrücke, es ist ziemlich klar, dass die physikalistische Weltanschauung zu genau den Zivilisationskrisen führt, über die heute viele Leute schreiben und sprechen: Die Probleme der globalen Erwärmung, die allgegenwärtige Möglichkeit eines nuklearen Holocausts, neuer Pandemien und so weiter. Für viele ist die physikalistische Weltanschauung längst zu einer Art Religion, einem Evangelium geworden. Sie fördert einen materialistischen Lebensstil, zu dem die Gier gehört, die Ausbeutung unseres Planeten. 

Wir brauchen jetzt dringend eine bessere Art von Weltanschauung, die positive Auswirkungen für uns als Zivilisation hat, sonst werden wir uns selbst umbringen. Und ich denke, dass die Ansichten, die wir hier entwickeln, zu einem guten Ergebnis führen. Natürlich gibt es dafür keine Garantie. Aber sie deuten auf die Erkenntnis hin, dass die Dinge viel tiefer miteinander verbunden sind, auch die Menschen; dass mein Schicksal und von Deinem Schicksal abhängt und so weiter. Natürlich kann niemand garantieren, dass ein solches Weltbild akzeptiert würde, wenn wir einen Konsens fänden. Und würde es akzeptiert, dass es einen Missbrauch oder andere unvorhersehbare Dinge verhindern könnte. Aber ich denke, die Entwicklungen geben Anlass zur Hoffnung, nicht nur für die Wissenschaft, an der ich besonders interessiert bin, sondern auch für die Menschheit generell.

Was also ist Bewusstsein? Woher kommt es, wenn der Physikalismus falsch liegt?

KELLY: Ich tendiere zu sowas wie Advaita Vedanta und ähnlichen idealistischen Bildern, denn dort ist das Bewusstsein alles, was es gibt. Alles entsteht daraus. Wir sind Teil eines weiten Überbewusstseins. Und ich denke, das wird uns helfen, nicht nur das Bewusstsein selbst oder Psi-Phänomene und dergleichen zu erklären, sondern auch mystische Erfahrungen und fast übermenschliche Genies, wie etwa der indische Mathematiker Ramanujan eines war. Ein wunderbarer Fall übrigens; was er geleistet hat, übertrifft die konzeptionellen Apparate, die der Kognitionswissenschaft heute zur Verfügung stehen.

Aber das Bild, das ich als Psychologe ständig vor mir habe, ist, dass sich dieses enorme Bewusstsein durch uns in einer sehr verdünnten, verwässerten Form ausdrückt. Aldous Huxley beschrieb es als „dürftiges Rinnsal des Geistes“. Aber unter bestimmten Umständen, wie etwa unter dem Einfluss von Psychedelika, werden die Gehirnaktivitäten so modifiziert, dass etwas von diesem Bewusstsein durchdringt. Und ich denke, durch Neuroimaging-Forschung zu den Wirkungen von Psychedelika, Meditationen oder vielleicht auch tiefer Hypnose können wir herausfinden, welche Veränderungen der Gehirnaktivität es diesen höheren Bewusstseinseigenschaften ermöglichen, sich auszudrücken. Und wie wir diese Erfahrung mehr Menschen zugänglich machen können. Das könnte enorm produktiv sein – kulturell und sozial. Wenn ich jungen Leuten eine Forschungskarriere empfehlen sollte, würde es dieser Bereich sein. Leider sind die meisten, die derzeit hier tätig sind, überzeugte Materialisten. Aber ich hoffe, dass wir sie auf unsere Seite bringen können.

Glauben Sie, dass schon genügend Beweise für das Überleben des Bewusstseins nach dem Tod gesammelt wurden? Sie haben Nahtoderfahrungen ja als einen wichtigen Forschungsbereich erwähnt …

KELLY: Ja, sie könnten, wie schon gesagt, sehr wichtig für das künftige Weltbild sein. Dabei geht es aber weniger um den direkten Beweis des Überlebens, sondern darum, dass Bewusstsein auch in Abwesenheit eines normal funktionierenden Gehirns vorhanden ist. Das aber würde ein Argument beiseite räumen, das viele Menschen als logisches Überlebenshindernis sehen. In den 1960-er Jahren befasste sich auch Gardner Murphy mit diesen Argumenten. Er kannte sie sehr gut – und konnte die Realität des Überlebens nicht akzeptieren. Aber es gibt noch andere Hinweise für ein Überleben nach dem Tod, etwa Fälle von Reinkarnation, also Wiedergeburt. Oder die Hinweise von Medien und dergleichen. Mich haben Fälle von Erscheinungen sehr beeindruckt. Da gibt es Tausende – und damit viele Hinweise. Menschen, die sich mehr oder weniger damit beschäftigen, glauben entweder an ein Überleben oder eben nicht. Ich selbst bin in dieser Frage auf der positiven Seite. Ich erwarte, dass ich mich später einmal in irgendeiner Bewusstseinsform wiederfinde und endlos in meiner Existenz sein werde. Aber ob es wirklich so sein wird, das weiß ich nicht. Es gibt keine Garantie dafür. Man kann es logisch nicht ausschließen, und es gibt ziemlich viele Hinweise, die dafür sprechen. 

Würden Sie also sagen, dass es Erscheinungen, wissenschaftlich betrachtet, wirklich gibt? Wir können wohl nicht beweisen, dass es sich um Verstorbene handelt. Jedenfalls aber existiert das Phänomen …

KELLY: Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus dem Buch „Phantasms of the Living“, nämlich den MacKenzie Fall. Ein Unternehmer aus Glasgow hat davon berichtet. Dieser hatte einem Jungen, der in Armut aufgewachsen war, einen Job in seiner Fabrik vermittelt, war dann aber selbst von Glasgow weggezogen. Und dann wachte er einmal mitten in der Nacht auf, und es erschien ihm im halb wachen Zustand der Junge, MacKenzie. Er sah eigenartig aus, hatte violette Flecken im Gesicht und wollte ganz dringend eine Nachricht loswerden, nämlich, dass er nicht getan hatte, wofür man ihn beschuldigen würde. Der Firmenchef weckte daraufhin seine Frau auf und erzählte ihr diese Geschichte, wodurch der Fall übrigens letztlich auch Eingang in das erwähnte Buch fand. Bald danach erhielt der Mann eine Nachricht aus der Fabrik in Glasgow, der zufolge der Junge, dem er geholfen hatte, Selbstmord begangen habe, indem er ein Glas Salpetersäure getrunken habe. Unter dem Eindruck der nächtlichen Erscheinung las der Unternehmer daraufhin nach, wie sich die Einnahme dieser Säure auf den Körper auswirkt: Man stirbt einen fürchterlichen Tod, das Sterben dauert Stunden, und es entstehen genau die Flecken, die an der Erscheinung zu sehen waren. Offenbar wollte MacKenzie seinem Förderer mitteilen, dass es sich um einen Unfall gehandelt, und dass er das nicht mit Absicht getan hatte. 

Ich habe herausgefunden, dass solche Details bei vielen Erscheinungen wichtig sind. Die Motive sind mit der Person der Erscheinung verbunden, nicht mit der Person, die sie wahrnimmt. Es gibt viele Fälle, die diese typische Charakteristik zeigen.

Sie haben Ian Stevenson erwähnt. In seinen Arbeiten beschreibt er auch Fälle, in denen Muttermale an bestimmten Körperstellen Reinkarnation vermuten lassen. So etwas wäre aus meiner Sicht vor allem auch medizinisch bemerkenswert, denn die Psyche müsste dann so stark sein, dass Körpermerkmale von ihr geprägt werden können. Zum Beispiel dadurch, dass ein Muttermal entsteht. Es gibt aber auch extremere Fälle, wo einem Menschen von Geburt an Körperteile fehlen – und das scheint mit der Todesursache oder einem Unfall in einem vergangenen Leben übereinzustimmen. Wie genau reagiert also der Körper auf seelische Hintergründe? Wenn Wissenschaft und Medizin sich solche Fälle genauer ansehen würden, könnten wir wohl nicht nur Fortschritte im Wissen über unseren Körper machen, sondern auch mehr darüber lernen, wie das Bewusstsein arbeitet …

KELLY: Ich stimme Ihnen da völlig zu. Im dritten Kapitel unseres Buches „Irreducible Mind“ behandeln wir dieses Thema. Emily hat es geschrieben. Sie beginnt mit allgemeinen Betrachtungen, beleuchtet dann aber einige extreme psychophysische Auswirkungen. Manche davon haben sich während tiefer Hypnose gezeigt, wie zum Beispiel Blasen, die aufgefahren sind, bestimmte geometrische Formen, die erschienen, die Heilung von verschiedensten Beschwerden, wie etwa Hautprobleme oder Placeboeffekte bei Steroiden. Das sind nur ein paar Beispiele. Und ich stimme zu, dass es hier viele neue Möglichkeiten gibt, mehr darüber zu lernen, wie der Geist den Körper beeinflusst. 

Leider steckt die heutige Medizin sehr in der materialistischen Weltanschauung fest und erklärt alles mit physischen Mechanismen. Wahrscheinlich deshalb werden die Psyche, das Bewusstsein, die Wirkung von Gefühlen vernachlässigt, wenn es darum geht herauszufinden, warum wir krank sind, warum sich bestimmte Symptome zeigen oder warum unser Köper auf eine ganz bestimme Art auf etwas reagiert.

KELLY: Lesenswert ist in diesem Zusammenhang übrigens das Buch „Heilung im Licht“ von Anita Moorjani. Sie war eine Krebspatienten, lag im Sterben, Tumore im ganzen Körper. Die Ärzte hatten sie schon aufgegeben. Und dann erlebte sie eine tief gehende Nahtoderfahrung – und innerhalb von Tagen oder weniger Wochen waren alle Tumore verschwunden.

Ein verwandtes Thema sind mystische Erfahrungen. Wie denken Sie darüber? Möchten Sie darauf eingehen?

KELLY: Ja, das möchte ich, denn ein Hauptgrund für all die Arbeit, die ich in Bücher gesteckt habe, ist der, wissenschaftliche Studien zu mystischen Erlebnissen zu fördern. Es steht schon schlimm genug um die Psychologie der Kreativität, wenn es darum geht, sich mit dem Thema vertieft zu befassen. Aber die Wissenschaftsgeschichte zu mystischen Erfahrungen ist noch viel dürftiger. Man hat dem Thema bis jetzt kaum Aufmerksamkeit geschenkt – und wenn, dann um es zu entwerten und zu pathologisieren. Aber ich denke, dass die Erforschung von Nahtoderfahrungen inzwischen gezeigt hat, dass Wahrheit hinter solchen Erlebnissen steckt, und zwar, weil sich die Menschen, die so etwas erleben, auf eine positive Art und Weise verändern. Tatsächlich betrachten die meisten, die eine tief gehende, intensive Nahtoderfahrung oder eine spontane mystische Erfahrung gemacht haben, sie als das wichtigste Ereignis in ihrem Leben. Es verändert sie positiv.

Walter Stace schrieb darüber schon 1960 in seinem Buch über Mystik und Philosophie. Ich denke, seit William James, den ich am meisten schätze, ist das eines der besten Bücher über dieses Thema. Stace hat über verschiedene Arten von religiösen Erfahrungen geschrieben und dabei, wie er selbst sagte, auf Myers Theorie der menschlichen Persönlichkeit aufgebaut. Das Kapitel über Mystik ist der zentrale Teil seines Buches und hat viele zu weiteren Arbeiten inspiriert. Und all diese Leute erachten mystische Erfahrungen als überaus wichtig. Paul Marschall, der Mitherausgeber meiner letzten beiden Bücher, hatte als Student der Physik an der Cambridge University selbst ein mystisches Erlebnis, das sein Leben stark geprägt hat. Er versucht seitdem zu verstehen, was ihm passiert ist. 

Was hat er erlebt?

KELLY: Er beschreibt das Erlebnis detailliert in seinem Buch „The Shape of the Soul“ – „Die Form der Seele“. Andere Menschen haben übrigens noch extremere Versionen solcher Erfahrungen erlebt. Paul kennt sich mit Philosophie sehr gut aus und weiß auch viel über Physik. Und er betrachtet bestimmte Aspekte seines Erlebnisses als die „ultimative Natur der Realität“. Er hat dafür eine eigene Theorie entwickelt, die „invertierte Leibniz’sche Monadologie“, das ist im Wesentlichen eine monistische, idealistische Metaphysik. Er glaubt, dass Psi-Phänomene, das Genie und so weiter, mit der Relativitäts- und Quantentheorie vereinbar sind. 

Man findet Beschreibungen mystischer Erfahrungen überall in der Zeit- und Kulturgeschichte. Und wenn man über die die Doktrinen und expressiven Eigenheiten hinausgeht, kann man, denke ich, Gemeinsamkeiten erkennen. Über dieses Thema gab es große Diskussionen innerhalb der Religionsstudien, die sich an Persönlichkeiten wie James, Huxley und Walter Stace orientierten. Es kam zu einem Aufruhr, der von Stephen Katz und den sogenannten Konstruktivisten angeführt wurde. Sie wollten detailliert die Unterschiede zwischen den Religionen hervorheben, und Unterschiede gibt es ganz sicher. Ich denke aber, dass sie zu weit in diese Richtung gegangen sind. Jetzt pendelt sich das Ganze wieder ein, und man erkennt an, dass es in der Geschichte große Ähnlichkeiten zwischen mystischen Erlebnissen gibt, die Einblicke in die „ultimative Natur der Dinge“ bieten. Heute ist das ein zentrales Thema für unsere Arbeit und auch für Paul Marshalls Arbeit. 

Weithin bekannt sind die mystischen Erfahrungen von Pater Pio. In seiner Biographie wird berichtet, dass sich bei ihm Stigmata zeigten. Man sagt ihm außerdem nach, dass er an zwei verschiedenen Orten erscheinen konnte. Er soll auch die Fähigkeit gehabt haben, die Gedanken und Gemütszustände der Menschen zu lesen, zu wissen, was Menschen dachten, oder wie sie sich fühlten.

KELLY: Um sie in Verlegenheit zu bringen …

Ja. Als er jung war, hatte er auch seltsame körperliche Symptome. Immer wenn er seinen Heimatort verließ, wurde er krank, und es ging ihm dann wieder besser, wenn er zurück nach Hause kam. Und offenbar hatte er auch Vorahnungen und Visionen, von denen wir aber nicht wissen, ob sie sich bewahrheiteten. Interessant erscheint mir jedenfalls, dass sich bei einem Menschen so viele Phänomene gleichzeitig zeigen.

KELLY: Ich kenne keinen wissenschaftlich fundierten Bericht über Pater Pio, aber ich habe davon gehört. Unser Kollege Mike Rosso schrieb ein Buch über einen auch sehr populären Volksheiligen, den bis jetzt außergewöhnlichsten Fall von Levitation. Im 17. Jahrhundert lebte in Italien Josef von Copertino, der den Weg der Selig- und Heiligsprechung durchmachte, es zu Lebzeiten aber mit der Inquisition zu tun bekam. Ich kann mich nicht mehr erinnern, welcher Papst es war, der mit Josef von Copertino und den Vorgängen rund um ihn befasst war. Jedenfalls soll dieser Mann hunderte Male untertags von tausenden Menschen gesehen worden sein, wie er minutenlang mehrere Meter hoch in der Luft schwebte – wobei es auch durchaus skeptische und feindlich gesinnte Zeugen gab. Und wie Pater Pio hatte auch er noch andere Fähigkeiten. Mike Rosso hat in seinem Buch „The Man Who Could Fly“ – Der Mann, der fliegen konnte – Pater Pio ebenfalls erwähnt und Analogien zu Josef von Copertino gezogen.

Zu diesem Thema gibt es noch ein anderes Buch, „The Physical Phenomena of Mysticism“ – Die physischen Phänomene des Mystizismus. Es geht detailliert auf diese teilweise wirklich irrwitzig anmutenden Phänomene ein. Zum Beispiel auf Körper von Verstorbenen, die durch Manipulationen warm bleiben und auch noch nach Jahren oder in manchen Fällen sogar nach Jahrhunderten noch bluten können. Oder jemand hält ein Stück Brot in den Fingern, und dann fliegt es plötzlich durch den Raum und landet im Mund eines anderen. Solche Phänomene sind schon sehr interessant, weil sie auf Grund der Beweise kaum ignoriert werden können. 

Es ist Ihnen ein Anliegen, akzeptable Beweise zu finden. Aber ist das bei solchen Berichten aus der Vergangenheit überhaupt möglich, die von Menschen vor hunderten von Jahren geschrieben wurden? Denken Sie nicht, dass das auch einfach übertrieben sein könnte, der Fantasie entsprungen ist?

KELLY: Jeder, der mit solchen Phänomenen in Berührung kommt, hat natürlich ein gewisses Limit, wie viel er überhaupt zu glauben bereit ist. Als ich zum ersten Mal von Josef von Copertino hörte, dachte ich, so etwas sei nicht möglich. Das alles sei sicher nicht wirklich passiert …

Ein fliegender Priester …

KELLY: Ja, aber wie James schon angemerkt hat: Die Grenze zur Unwahrscheinlichkeit kann sich verschieben. Wir haben in diesem Fall inzwischen so viele Hinweise gefunden, dass er sich im Kreis des Möglichen bewegt, und das verändert dann natürlich auch die Einstellung gegenüber ähnlichen Behauptungen. 

Ich bin jetzt überzeugt, dass Josef wirklich geflogen ist. Als ich das erste Mal mit diesem Thema in Berührung kam, habe ich das anders gesehen. Aber angesichts vieler Dinge, die sich inzwischen gezeigt haben, will ich die Berichte nicht mehr einfach ignorieren; auch im Hinblick auf die Menschen jener Zeit und deren Verständnis von Moral. Wer über solche Dinge lügt, hätte damit rechnen müssen, für immer in die Hölle zu kommen. Natürlich würde ich nicht meine Hand ins Feuer legen, aber ich bin sicher, dass die Menschen aus gutem Grund daran glaubten und sich davor gehütet hätten, einfach die Geschichte zu erfinden, dass sie Josef in die Luft aufsteigen sahen.

Was ist Ihre persönliche Einstellung zum Jenseits, zum Leben nach dem Tod?

KELLY: Wie schon gesagt, ich habe keine Gewissheit darüber. Meiner Ansicht nach hat die Wissenschaft in diesem Bereich jetzt schon so viel angedacht, wie ich es mir am Anfang meiner beruflichen Laufbahn nicht hätte vorstellen können. Aber wir wissen noch wenig. Klar ist nur, dass manche Menschen aus irgendeinem Grund für eine gewisse Zeit überleben. Was mit ihnen wirklich passiert, wissen wir nicht. Aber das Wenige, das wir wissen, verändert schon die Vorstellung, die wir von unserer Welt haben. Es öffnet die Tür zu einem viel größeren Konzept über die Natur der Dinge, das sich schließlich mit den Entwicklungen in den fundamentalen Bereichen der Physik verbinden wird. 

Wird es auch eine Verbindung zu unserem Innenleben geben – zu unseren Gedanken, unserer Vorstellungskraft, unseren Träumen, Zielen? Glauben Sie an eine solche Verbindung? 

KELLY: Ganz sicher. Das ist eine logische Konsequenz der Theorie, an der wir arbeiten, nämlich, dass dieses große Bewusstsein die Quelle von all dem ist, was in uns existiert und dass wir damit unter bestimmten Umständen Kontakt aufnehmen und etwas darüber lernen können. Mehr empirische Forschungen, etwa im Bereich Meditation, Hypnose, Psychedelika usw., können, wenn wir es gut machen, anderen Menschen den Zugang zu Erlebnissen ermöglichen, die auf einer persönlichen Ebene sehr erfüllend sind, aber auch für unsere Zivilisation wichtig. Ich denke, uns erwartet eine sehr positive Sichtweise, ganz anders als das, was wir jetzt haben. 

Was sind Ihre Zukunftspläne? Arbeiten Sie an Ihrem vierten Buch?

KELLY: Nein, ich glaube nicht, dass ich noch ein Buch schreiben werde, aber vielleicht wird es eine kleine Publikation über diesen besonderen Probanden geben, mit dem ich vor Jahren gearbeitet habe. Er ist noch immer aktiv und interessiert an dem Projekt. Ich könnte einen kleinen Band herausbringen, der sich an A.R. Lurias Buch „The Mind of a Mnemonist“ orientiert. Es wäre ein populärwissenschaftliches Buch, das die außergewöhnliche Geschichte dieses sehr interessanten Menschen zeigt. Ich glaube, mein Proband ist noch interessanter als Lurias Monist. Das war ein Mann, der über ein extremes Gedächtnis verfügte. Er konnte sich Namenslisten und Nummern merken, und er hat damit sein Geld verdient. In dem Buch geht es darum, wie diese Fähigkeit eigentlich sein Leben ruiniert hat. Er war übermannt davon, er konnte nichts tun, weil er ständig von irgendwelchen Erinnerungen zugeschüttet wurde. Also haben wir uns diese Geschichte und diese besondere Fähigkeit genauer angesehen und wollten sehen, ob ich so etwas ähnliches mit meinem Freund machen kann. 

Und abgesehen davon möchte ich auch noch ein paar Experimente in unserem neuen Neuroimaging-Labor durchführen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, unsere eigenen Studien zu machen. Und wir hoffen, die Arbeiten finanziell besser ausstatten zu können. Es geht uns momentan gut, aber historisch betrachtet waren die Leute, die in diesem Bereich gearbeitet haben, immer unterfinanziert. Die gesamte Erforschung des Übersinnlichen hat bis jetzt weltweit etwa so viel finanzielle Unterstützung erhalten wie zwei Kampfjets oder etwas ähnliches wert sind. Das ist einfach grotesk.

Würde gleich viel Geld und Zeit in diese Forschungen investiert – wer weiß, wo wir heute schon wären!

KELLY: Ja, genau. Das bringt es auf den Punkt!

Viel Erfolg weiterhin. Und danke für das schöne Interview!

KELLY: Es war mir eine Freude!

 

Interview: Jens Rohrbeck
Übersetzung: Katrin Salhenegger-Niamir
Redaktion: Werner Huemer

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