Die Entdeckung, dass es tatsächlich ein „Leben nach dem Tod“ gibt, führt zu zahlreichen Selbstmorden: Vor diesem Handlungshintergrund entwickelt sich der Film „The Discovery“ – und regt zu grundlegenden Gedanken zum Thema „Bewusstsein“ an.
Was wäre wenn … ein Leben nach dem irdischen Tod bewiesen werden könnte? [1] Beispielsweise indem man sichtbar machte, was der Seele, dem Geist – oder wie immer wir diesen
immateriellen Anteil unserer Persönlichkeit, unserer Identität nennen wollen – widerfährt nachdem der Körper und mit ihm das Gehirn alle Funktionen eingestellt hat? Wenn man also über Gedankenexperimente oder Schlussfolgerungen hinausgehen könnte, die aus Beobachtungen und persönlichen Schilderungen Nahtoderfahrener [2] gewonnen wurden? Wenn man einen „objektiven“ Beweis für eine Bewusstseinstätigkeit jenseits der zwischen Nervenzellen ausgetauschten elektrischen Impulse des menschlichen Gehirns, jenseits der chemischen Abläufe beim Austausch von neuronalen Botenstoffen, also über Materie hinausreichende und somit nicht-materiell vermittelte Phänomene sichtbar darstellen könnte?
„Wir brauchen eine Leiche“, sagt die beizeiten reichlich morbide klingende, an der Stelle beinahe skurril wirkende Filmfigur Robert Redfords alias Dr. Thomas Harber in einer Szene des Films „The Discovery“ [6]. Und mit dieser Forderung deutet er an, dass der Beweis nur dann überzeugend genug sein kann, wenn es ihm und einem klandestinen Zirkel von Forschern und freiwilligen Probanden mittels deren Experimente auf dem abgelegenen, schwer zugänglichen Gelände einer ehemaligen Erziehungsanstalt für schwer erziehbare Jugendliche gelingt, Wahrnehmungsphänomene eines schon seit vielen Stunden verstorbenen Menschen aufzuzeichnen und mit Hilfe einer von Dr. Harber und seinem Team konstruierten Apparatur auf einen Computer-Bildschirm zu übertragen. Dem voraus gehen zahllose Versuche an seiner Person und an Freiwilligen, die sich einem temporären klinischen Tod unterziehen, aus dem sie per Elektroschocks ins Leben zurückgeholt werden. Das hier erzielbare Zeitfenster, während dessen die Versuche ohne nachfolgend bleibende Schäden an der Versuchsperson vertretbar sind, erscheint Dr. Harber aber als zu klein um daraus den nachhaltigen Beweis für eine Bewusstseinstätigkeit einer „Seele“ führen zu können. Denn erst wenn solche Phänomene an einem „wirklich Toten“ darstellbar sind, erst dann würde Dr. Harber erneut den Gang an die Öffentlichkeit wagen. Denn es steht nicht nur sein Ruf auf dem Spiel, sondern das Leben von Millionen von Menschen, die seit Veröffentlichung seiner ersten Forschungsergebnisse ganz bewusst den Gang in den Freitod gewählt haben, um schneller „auf die andere Seite“ zu gelangen, in der Erwartung eines Lebens, das frei von den Zwängen und Nöten des irdischen Daseins ist.
Die dem Drehbuch zugrundeliegende Idee der Autoren Charlie McDowell und Justin Lader ist nicht neu, ein ganz ähnlicher Gedanke wurde im Film „Flatliners“ aus der Feder Peter Filardis 1990 schon einmal für die Kinoleinwand adaptiert und ebenfalls 2017 in einer gleichnamigen aktuellen Neuauflage des Originals von 1990 nochmals thematisiert (Julia Roberts und Kiefer Sutherland übernahmen in der ursprünglichen Version von 1990 Hauptrollen als wissbegierige Medizinstudenten, die die institutseigenen Labore für ihre eigenen, nicht ganz den Lehrplänen folgenden Forschungsinteressen heranziehen). Auch das Setting und die im Film aufgeworfenen Fragen folgen weitgehend der „Vorlage“ von 1990: Ein oder mehrere Forscher, die sich jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams an das Enträtseln einer der ältesten Menschheitsfragen wagen: Wohin gehen wir, wenn Herz, Lungen, Hirn jegliche Tätigkeit eingestellt haben? Bleibt etwas von uns – oder erlischt unser Bewusstsein endgültig und unwiderruflich? Gibt es eine Instanz im Menschen, die nicht an Materie und deren Wechselwirkungen gebunden ist? Und falls ja: Können wir deren Existenz nachweisen, ja, ihr sogar ein Stück weit im Verlauf der weiteren Reise folgen?
Man könnte nun den Film als weitere Neuauflage eines bereits 1990 eindrucksvoll bearbeiteten Themas bewerten, das der ursprünglichen Überlegung nicht viel – wenn überhaupt – Neues hinzufügt. Aber diese Einschätzung greift möglicherweise zu kurz. Denn immerhin bieten die Autoren einen Aspekt an, der meines Erachtens nach auch in seriöser Sterbeforschung häufig unterrepräsentiert erscheint: Üblicherweise kodieren wir das potentielle Fortbestehen von Seele oder Geist sprachlich in der für uns gewohnten Weise einer „Vorher-Nachher-Dichotomie“, also hier das irdische Leben vor dem Tod, dort das nicht-irdische, möglicherweise geistige Leben nach dem Ableben des Körpers. Befürworter der sogenannten Überlebenshypothese [2, 3, 4] propagieren den Fortbestand des menschlichen Bewusstseins auf einer anderen Seins-Ebene, einem Reich, das der Materie nicht oder nur in Situationen außergewöhnlicher Wahrnehmung, wie etwa in Klarträumen oder eben während des Erlebens einer sogenannten Nahtoderfahrung [3], zugänglich erscheint. Wie aber ist jene andere Seins-Ebene beschaffen, welchen Gesetzmässigkeiten unterliegt sie, und vor allem: Ist sie ebenfalls lokal, also an bestimmte Orte gebunden, oder womöglich befreit von der Bindung menschlich und sinnlich erfahrbarer Phänomene an (materielle) Orte und Objekte? Könnte es sich vielleicht bei dieser anderen Seinsebene nicht auch um eine weitere Erfahrungsebene im Diesseits handeln, einen von Ort und Zeit weitgehend gelösten Wahrnehmungsbereich, wie wir ihn auch in Träumen erfahren?
Dr. Harber scheint dieser Überlegung zu widersprechen: „Fantasie und Realität können nicht gleichzeitig bestehen, sie schließen sich gegenseitig aus“, womit er zumindest anzudeuten scheint, dass Träume dem Bereich menschlicher Vorstellungskraft zuzuordnen seien und keinen objektivierbaren Realitätsgehalt bereithalten sowie als Zugang zu einer anderen Realitätsebene zu verwerfen seien.
Und tatsächlich finden sich ähnliche Argumente auf Seiten der Vertreter eines materialistisch orientierten Weltbildes, die jegliche subjektive Erfahrungen in Grenzbereichen menschlicher Wahrnehmung wie etwa Nahtoderfahrungen – wenngleich vieltausendfach und von mehreren voneinander unabhängigen Chronisten und Autoren dokumentiert [3] – als Werkzeug wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns ablehnen. Demgegenüber steht eine wachsende Zahl von Theoretikern und Forschern, die das Phänomen des (menschlichen) Bewusstseins an sich für eine nicht weiter reduzierbare Qualität halten, die womöglich Ursprung aller Materie, aller physischen Erscheinungen im Kosmos ist und allem innewohnt – vom Elementarpartikel bis hin zum supermassereichen schwarzen Loch. [5]
Um aber zum Film zurückzukehren: Wie verhält es sich dann mit der Frage nach der Validität außergewöhnlicher Bewusstseinszustände im Hinblick auf deren Beweiskraft für eine nicht-körperliche, fortdauernde Existenz, wenn es sich bei den sehr real wirkenden Sequenzen der gerade oder schon länger Verstorbenen – sowohl im Film als auch in den berichteten Nahtoderlebnissen – vielleicht „nur“ um nicht gelebte Aspekte der hiesigen irdischen Existenz handelte, um nicht wahrgenommene Möglichkeiten des irdischen Daseins, die sich im Falle anderer Entscheidungen im Hier und Jetzt aber genauso hätten zutragen können? Und könnte dann Leben „nach“ dem Tod nicht einfach bedeuten, all die weiteren Möglichkeiten, die sich hier geboten hätten, „anschließend“ andern„orts“ oder in anderer Form wahrzunehmen und zu leben? Wie ist aus dieser neuen Sicht auf menschliches Sein die Frage nach einer möglichen Reinkarnation – also der wörtlich „wieder ins Fleisch tretenden“ – Bewusstheit einer „Seele“ zu betrachten? Und noch weitreichender: Sollte ihm, Dr. Harber, der Nachweis gelingen, dass es sich hier tatsächlich um „ungelebte Potentiale“ handelt, eröffnet diese Erkenntnis dann nicht auch die Möglichkeit der bewussten Manipulation von Realität? Während es Dr. Harber bis dahin noch gelang, die Verantwortung für all die Suizide von sich fernzuhalten, so erscheint ihm die Verantwortung für eine „alternative Realitätenmaschine“ dann doch zu groß. Er und sein Team beschließen, die Apparatur restlos zu vernichten und die Experimente mit sofortiger Wirkung einzustellen.
So weit, so folgerichtig – wäre da nicht Dr. Harbers älterer Sohn Will in der Rolle eines zunächst strikt am materialistischen Weltbild orientierten Neurologen und Skeptikers sowie Rooney Mara in der Rolle einer vermeintlichen Zufallsbekanntschaft im Film. Beiden erscheinen die Möglichkeiten der Maschine zugunsten der Schaffung einer für sie günstigeren Realität zu verlockend, um nicht noch einen letzten Selbstversuch zu wagen …
Als vorläufiges Fazit scheint am Ende eines teilweise etwas mühsam zu folgenden und auch Längen aufweisenden Films die Frage zu stehen, inwiefern Zeit als weiteres Phänomen menschlicher Erfahrbarkeit nicht womöglich einer gänzlich neuen Betrachtung zuzuführen wäre: Als möglicher und notwendiger Illusion, die die Erfahrung distinkt einzelner Erlebnisse erst ermöglicht …?
Ein komplexes Thema, das auf rund 100 Filmminuten zu verdichten war und die sich weiter ergebenden Fragen somit nur zu streifen vermag, eine Antwort auf die eingangs gestellten Fragestellungen schuldig bleibt. Aber möge der geneigte Betrachter selbst urteilen.
Ein Beitrag von Werner Nieke
______________________________
Quellen:
1 – Ein Kommentar auf FOCUS zur 2014 veröffentlichten AWARE-Studie des Kardiologen Sam Parnia https://tinyurl.com/y3xxf9zo
2 – Thanatos.TV-Interview mit Dr. Reto Eberhard Rast https://youtu.be/xlKZQuhfgbs
3 – Wikipedia-Eintrag zu Nahtoderfahrungen https://de.wikipedia.org/wiki/Nahtoderfahrung#Erklärungsversuche
4 – Deutungsversuche von Nahtoderlebnissen seitens der Swiss IANDS, der Sektion Schweiz der Internationalen Vereinigung zur Erforschung von Nahtoderfahrungen (International Association of Near Death Studies) https://swiss-iands.ch/weltanschauliche-positionen-zu-ntes-2/
5 – Von der Quantenphysik zum Bewusstsein, Brigitte und Thomas Görmitz, München, ISBN 978-3-662-49082-2 https://tinyurl.com/yyud8s2j
6 – IMDB.com-Titeleintrag für den Film https://www.imdb.com/title/tt5155780