Die Seelen wandern über die Zeit wie die Wolken über den Himmel … Die Literaturverfilmung „Cloud Atlas“ von Tom Twyker und den Wachowski-Geschwistern
Im Jahr 1849 rettet Autua (David Gyasi), ein geflohener schwarzer Sklave, während einer Schiffsreise dem jungen US-amerikanischen Anwalt Adam Ewing (Jim Sturgess) das Leben. Ewing, der seine Erlebnisse an Bord in einem Tagebuch dokumentiert hat, kämpft daraufhin gemeinsam mit seiner Frau Tilda (Doona Bae) gegen den Sklavenhandel und seinen Schwiegervater (Hugo Weaving), der mit dem Verkauf von Menschen reich geworden ist. –
– Im Jahr 1936 arbeitet der junge homosexuelle Komponist Robert Frobisher (Ben Whishaw) an seinem wichtigsten Werk, dem „Wolkenatlas-Sextett“, inspiriert durch seine Tätigkeit als musikalischer Gehilfe in der Villa des alten Komponisten Vyvyan Ayrs (Jim Broadbent). Hier stößt Frobisher auch auf Ewings Tagebuch, das er begeistert liest, denn auch er leidet unter Diskriminierungen. Nach der Fertigstellung des Sextetts kommt es jedoch zu einer schlimmen Auseinandersetzung mit Ayrs, die Frobisher in den Suizid treibt. Seine Beweggründe dafür schildert er seinem Liebhaber, Rufus Sixsmith (James D’Arcy) in einem Abschiedsbrief. –
– Im Jahr 1973 lernt der alte Sixsmith in die junge Journalistin Luisa Rey (Halle Berry) kennen und bringt sie – ehe er selbst von einem Auftragskiller ermordet wird – auf die Fährte einer brisanten Story, in der es um einen drohenden Nuklearunfall geht. Luisa findet bei dem Ermordeten zahlreiche persönliche Briefe, darunter auch Frobishers Abschiedsschreiben. Schließlich, nachdem sie selbst einigen Anschlagversuchen nur knappt entgangen ist, erhält die Journalistin von Sixsmiths Nichte die entscheidenden Unterlagen für ihre erste große Aufdeckergeschichte. –
– Im Jahr 2012 liest der Verleger Timothy Cavedish (Jim Broadbent), der mit den Memoiren eines Gewalttäters viel Geld gemacht hat, jetzt aber vor dessen Handlangern auf der Flucht ist, während einer Bahnreise das Manuskript eines Freundes der Journalistin Luisa Rey. In seiner Not sucht Timothy Hilfe bei seinem Bruder Denholme (Hugh Grant). Der hat allerdings noch ein gewichtiges Hühnchen mit ihm zu rupfen: Denn Timothy hatte einst eine Affäre mit seiner Frau Ursula (Susan Sarandon). Also lässt Denholme seinen Bruder, statt ihm zu helfen, kurzerhand wegsperren. Letztlich gelingt Timothy die Flucht aus dem gefängnisartigen Heim für abgeschobene Senioren, und er geht ins Exil. Dort schreibt er, glücklich mit Ursula vereint, an seinen Memoiren. –
– Im Jahr 2144 macht der weibliche „Duplikant“ Sonmi~451 (Doona Bae) eine furchtbare Entdeckung: Künstlich geschaffene Lebensformen, wie sie eine ist, gelangen nach ihrem Arbeitsleben als „Inventar“, in dem sie zur striktem Gehorsam verpflichtet sind, nicht, wie ihnen versprochen wird, ins paradiesische Elysium, sondern sie werden geschlachtet und zu Duplikantennahrung verarbeitet. Sonmi~451 schließt sich daher dem Rebellenführer Hae-Joo Chang (Jim Sturgess) an, auf den Regierungssoldaten Jagd machen. Sonmi~451 wird verhaftet, als sie sich einen alten Spielfilm über Cavedishs Lebensgeschichte ansieht, und ihrer Exekution zugeführt. Zuvor aber zeichnet sie auf einer Kommunikationsstation einen Aufruf zur Menschlichkeit und für den respektvollen Umgang miteinander auf. –
– Im Jahr 2321, im „106. Winter nach dem Untergang“, freundet sich Zachry (Tom Hanks), ein einfacher Ziegenhirte, mit Meronym (Halle Berry) an, einer Angehörigen des technisierten Volks der „Prescients“. Zachrys Stamm kämpft gegen die kannibalischen „Kona“ und verehrt Sonmi als Göttin. Die Kommunikationsstation von einst gilt jetzt als „Heiliger Berg“. Mernonym ist sicher, dass für ihr Volk ein Weiterleben auf der Erde nicht möglich ist. Sie will daher mit Hilfe der Kommunikationsanlage einen Hilferuf an die außerplanetarischen Kolonien senden, in der Hoffnung, dass diese den Untergang der Zivilisation überlebt haben. Sie erzählt Zachry die wahre Geschichte von Sonmi~451, und der Hirte steht vor der Aufgabe, sowohl seinen alten Glauben an die Göttin als auch an die Macht des teuflischen „Old Georgie“ (Hugo Weaving) zu überwinden … –
Die sechs Geschichten, die die Wachowski-Geschwister in Kooperation mit dem deutschen Filmregisseur Tom Twyker in ihrer Aufsehen erregenden Verfilmung des Romans „Der Wolkenatlas“ zu einer Jahrhunderte umspannenden, bildgewaltigen Collage zusammenfügen, sind nicht nur durch konkrete Handlungsfäden miteinander verbunden, sondern auch durch Empfindungen, Motive, Körpermerkmale oder Déjà-vus. Zudem treten die Hauptdarsteller in bis zu sechs verschiedenen Rollen auf und verstärken damit den Eindruck, dass, was immer sich in Vergangenheit und Zukunft ereignet, eng miteinander verwoben und eigentlich nur ein Ausdruck der ewigen Gegenwart ist.
„Cloud Atlas“ ist ein gelungenes filmisches Experiment – plakativ genug, um mit seinen oft nur indirekt verwobenen Erzählsträngen nicht zu verwirren, und zugleich ausreichend vielschichtig, um den Zuschauer zu wiederholten Entdeckungsreisen einzuladen … um, wie in einem großen Atlas, der alles Geschehen aufgezeichnet hat und trägt, neue, unerkannte Bezüge oder Rollenmasken (der Schauspieler) zu erforschen.
Und in allen ihren Masken, in allen gesellschaftlichen Errungenschaften oder Katastrophen „wandern die Seelen über die Zeit wie die Wolken über den Himmel“.
Von Werner Huemer
(2012, 172 Minuten)