PMH Atwater: Nahtoderfahrungen in der frühen Kindheit

Nach eigenen Nahtoderfahrungen wurde PMH Atwater zu einer Pionierin der Thanatologie, der Sterbeforschung. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher zu dem Thema. In einem davon („Wir waren im Himmel“) berichtet sie von ihren Recherchen zu Menschen, die in ihrer frühen Kindheit ein Nahtoderlebnis hatten. Welche Besonderheiten zeigen sich in ihrem weiteren Leben? Erleben Kinder ihre NTE anders als Erwachsene? Dieses Thema steht auch im Zentrum dieses Thanatos-TV-Interviews.

Nahtoderfahrungen in der frühen Kindheit | PMH Atwater im Gespräch

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Hallo. Guten Morgen. Schön Sie zu sprechen. Wie geht es Ihnen?

ATWATER: Mir geht es absolut fantastisch. Ich hoffe, Ihnen auch!

Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben. Ich würde Sie gerne kurz unseren Zuschauern vorstellen. Sie sind eine internationale Autorität für Nahtoderfahrungen. Sie gehören sogar zu den frühen Pionieren dieses Bereiches …

ATWATER: Richtig. Seit 1978.

Ist das das Jahr, in dem Sie selbst drei Nahtoderfahrungen erlebt haben?

ATWATER: Das war 1977, im Jahr zuvor. 

Und das hat Ihr Leben grundlegend verändert. Damit begann eine Reise …

ATWATER: Nun, deshalb bin ich Forscherin geworden. Ich meine, niemand würde sich ohne besonderen Anlass jemals dafür entscheiden, auf diesem Gebiet zu forschen. Aber in meiner dritten Nahtoderfahrung sprach etwas zu mir, das ich „die Stimme wie keine andere“ nenne. Laut und deutlich. Diese Stimme drängte mich, Forscherin zu werden. Und irgendwie salutiert man und sagt „Okay“. Ich bin das Kind eines Polizisten, bin auf einer Polizeiwache aufgewachsen. Deshalb sind mir Recherchetechniken vertraut. Nachdem ich wieder einigermaßen zu mir gefunden hatte, begann ich mit meiner Arbeit.

Verstehe. Können Sie uns erzählen, was Ihnen während der Nahtoderfahrung widerfahren ist?

ATWATER: Ich wurde vergewaltigt, das führte zu einer Fehlgeburt. Und daraus resultierten verschiedene Probleme. Ich bin im Januar zweimal gestorben und ein weiteres Mal im März. Dreimal hintereinander. Ich nenne das den himmlischen Vorschlaghammer-Effekt. Ich meine, es hat mich massiv getroffen. Und später, im Herbst des gleichen Jahres, hatte ich drei schwere Rückschläge. Ich musste also alles neu lernen, das Lesen, das Kriechen, das Stehen, das Gehen, den Unterschied zwischen links und rechts erkennen, richtig zu sehen, richtig zu hören … und ich musste all meine Glaubenssysteme neu aufbauen.

Lag das daran, dass das Nervensystem unter all den Nachwirkungen gelitten hatte?

ATWATER: Das Körpertrauma, die Unfähigkeit zu gehen … es gab eine ganze Menge Probleme. Hinzu kam dann die Auseinandersetzung mit der Erfahrung an sich. Was ist passiert? Wo war ich überhaupt? Ich fühlte mich in einer ganz anderen Welt. Ereignet hat sich das alles in Boise, Idaho. Aber ich hatte das Gefühl, nicht mehr dort zu sein, sondern irgendwo anders. Und ich konnte nicht sprechen, also nicht davon erzählen. Ich hatte, wie gesagt, wirklich den himmlischen Vorschlaghammer abbekommen. Und ich hörte immer diese Stimme, die mich drängte, das, was ich erlebt hatte, zu prüfen und mehr zu recherchieren. Also habe ich damit angefangen.

Verstehe!

ATWATER: Ich habe getan, was ich tun sollte. Ich habe mich nicht an der Wissenschaft orientiert, nicht an einer Glaubensrichtung oder Ideologie, die jeder von uns hat. Auch nicht an einer Religion. Ich sollte das alles einfach vergessen. Ich machte, was mir diese Stimme riet. Und ich hatte das Gefühl, dass die Stimme aus Gott kam.

Sie haben seither 5000 Menschen oder noch mehr interviewt, Erwachsene und Kinder …

ATWATER: Beinahe 5000 Erwachsene und Kinder. Ja. Und 18 Bücher geschrieben. 

Beachtlich!

ATWATER: Nicht alle handeln von Nahtoderfahrungen, aber sie spielen darauf an. Die meisten davon berichten von meinen Recherchen. Momentan arbeite ich an meinem 19. Buch. Es geht um meine Nahtoderfahrungen – so, wie man noch nie zuvor davon gehört hat. Mein Leben, mein Tod und meine Forschung. Ich werde also persönlich. Zum ersten Mal in all diesen Jahrzehnten trete ich hinaus und sage: „Leute, hier bin ich.“

Ich bin mir sicher, die Menschen werden das lesen wollen!

ATWATER: Das hoffe ich doch!

Ich würde gerne mit Ihnen über Ihr Buch „Wir waren im Himmel“ sprechen.

ATWATER: Gerne! Das ist ein wichtiges Thema!

Nahtoderfahrungen in der Kindheit und wie sie das weitere Leben prägen: Bevor wir darauf zu sprechen kommen, k önnen Sie uns den Prozess Ihrer Recherchearbeit ein wenig erläutern? Wo haben Sie die Leute gefunden? Meines Wissens sind fast 400 Fälle in dieses Buch über die Kinder eingeflossen, richtig?

ATWATER: Ja, die Studie umfasst 397 Nahtoderfahrungen.

Wie fanden Sie all die Fälle?

ATWATER: Mehr als 60 Prozent der Menschen sind einfach zu mir gekommen, und manchmal ging das sehr seltsam zu. Lassen Sie mich ein Beispiel erzählen: Ich arbeitete damals für eine Internet-Connect-Firma und war viel unterwegs, um Aufträge zu erledigen. Meine Firma hatte mich nach Macon, Georgia, geschickt. Es war Zeit für eine Kaffeepause. Also bin ich zu einer Raststätte. Ich sitze also an einem kleinen Tisch und lese ein Taschenbuch. Das war alles. Und es kommt ein Mann auf mich zu – er war wirklich fast so breit wie er groß war – und fragt: „Mylady, sitzt jemand auf dem Stuhl neben Ihnen?“ Ich denke mir: Nein. „Kann ich da sitzen?“ Ich überlege einen Moment lang und sage: „Naja, okay.“ Also setzt er sich. Er stellt seine Ellenbogen auf den Tisch, sieht mich an, kommt näher, sieht mir richtig tief in die Augen. Und er sagt: „Wissen Sie, ich jage immer noch Frauen hinterher und trinke immer noch. Aber ich möchte, dass Sie alles über die Zeit erfahren, als ich gestorben bin.“ Und dann erzählte er mir ausführlich über seine Nahtoderfahrung. So etwas ist mir ständig passiert. Ich bin mal in Washington DC eine Straße entlang gegangen, da kommt eine Frau kam auf mich zu, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Sie sehen wie jemand aus, mit dem ich reden könnte. Ich muss jemandem davon erzählen, wie es war, als ich gestorben bin.“ Oder ich stieg in ein Taxi ein, als ich in Minneapolis, Minnesota arbeitete … ich bin ein sehr, sehr neugieriger Mensch. Wenn ich also in einem Taxi sitze, unterhalte ich mich immer mit dem Fahrer, frage zum Beispiel nach steuerlichen Dingen, Hochschulen, Universitäten oder wofür die Stadt bekannt ist. Der Fahrer in Minneapolis schien sehr frustriert zu sein. Er erzählte mir schließlich: „Ich komme aus Ägypten. Ich bin wegen eines Studiums hier und kann Ihnen nichts über die Gegend hier erzählen, aber ich kann Ihnen alles über die Zeit erzählen, als ich gestorben war.“ So erging es mir, Jahr für Jahr für Jahr …

Wahrscheinlich wurden Sie später aufgrund Ihrer Bekanntheit, unter anderem durch die Bücher, von noch mehr Leuten kontaktiert.

ATWATER: Im Laufe der Zeit habe ich auch Anzeigen in Zeitschriften und Zeitungen geschaltet oder über das Internet recherchiert. Dadurch kamen all diese Leute zusammen.   

Verstehe. Ihr Buch über die Nahtoderfahrungen von Kindern unterscheidet sich von früher veröffentlichten Schilderungen dadurch, dass es sich um besonders kleine Kinder handelt …

ATWATER: Ja, und außerdem ist es das erste Buch, das einen kompletten Überblick zu diesem Thema bietet. Schon in den 1990er Jahren befasste ich mich mit einer Gruppe Nahtoderfahrener. Darüber kann man in meinem Buch „The New Children and Near-Death Experiences“ lesen. Die meisten Nahtoderfahrenen waren jüngere Leute. Ich glaube, der Jüngste, mit dem ich je gearbeitet habe, war vier Jahre alt. Auch Erwachsene, die aber ihre Erfahrung als Kind gemacht hatten, wurden mit einbezogen. 

Vor drei oder vier Jahren habe ich mich dann mit einer zweiten Gruppe von Personen beschäftigt. Mein Fokus war dabei auf die älteren Generationen gerichtet. Ich wollte reife, erwachsene Menschen, die als Kind eine Nahtoderfahrung hatten und jetzt in ihren 50ern, 60ern, 70ern oder 80ern waren. Sie mussten nachweisen, dass sie explizit im Zeitraum zwischen der Geburt und dem Alter von fünf Jahren eine NTE hatten. Mir ging es um die Erfahrungen von Babys, Kleinkindern und Neugeborenen, und diese mussten belegt werden. Es gab beispielsweise eine 82-jährige Frau. Sie hatte eine jüngere Schwester, die sich noch an alles erinnern und bestätigen konnte, was ihre ältere Schwester sagte. Solche Verifizierungen waren mir sehr wichtig. Und ob Sie es glauben oder nicht, die Leute vergessen eine Nahtoderfahrung nicht. So habe ich sie zum Beispiel gefragt: „Hat ihre Nahtod-Erfahrung in so jungen Jahren eine Veränderung in Ihrem Leben bewirkt? Wenn ja, welche?“ Ich habe um schriftliche Schilderungen gebeten. Und welche ich zurückbekommen habe! Eine davon war 50 Seiten lang. Es hätte ein ganzes Buch sein können. 

Manche Seiten waren tränenbenetzt, so dass ich sie kaum lesen konnte. Sie kamen von Menschen, die noch nie zuvor in der Lage gewesen waren, jemandem etwas davon zu erzählen, und nun konnten sie endlich alles entladen. Übrigens waren auch Menschen dabei, die in Armut leben. Ich habe einmal das Vorurteil gehört, Forscher würden niemals auf Menschen in Armut eingehen. Nun ja, ich habe das getan. Ich wollte Menschen aus unterschiedlichen Geschlechtern und Rassen, und das weltweit. So habe ich letztlich eine wirklich gute Mischung verschiedener Menschentypen bekommen. 

Ich stieß auch überall auf Personen, deren Nahtod-Erfahrung auf Kindesmisshandlung zurückzuführen war. Einige dieser Geschichten waren wirklich schrecklich. Drei Menschen wurden ausschließlich deshalb gezeugt und geboren, weil ihre Eltern sie auf einem Altar Satan opfern wollten. Das waren Satanisten. Ich habe zehn oder 14 solche Fälle kennengelernt, ich weiß nicht mehr genau, wie viele – und die Kinder waren nur neun Jahre alt oder noch jünger. Bei einem Mädchen hat der Missbrauch im Alter von sechs Wochen begonnen. Dieses Kind wurde immer wieder gefoltert. Das war der einzige Grund, warum seine Eltern es überhaupt bekommen hatten. Es hatte schlimme, unfassbare Misshandlungen durchgemacht. Trotzdem konnte die Frau jetzt, in ihren 60ern, zurückblicken und ihren Eltern sogar vergeben.

Ich erinnere mich, über diesen Fall gelesen zu haben. Diese Frau konnte sich trotz dieser schrecklichen Erlebnisse erstaunlich gut entwickeln …

ATWATER: Ja, eine bemerkenswerte Besserung!

Inwiefern unterscheiden sich Nahtoderfahrungen in der frühen Kindheit, also ab der Geburt und bis zum Alter von fünf Jahren, von den Nahtoderfahrungen Erwachsener?

ATWATER: Sie unterscheiden sich sehr. Bei Nahtoderfahrungen von Kindern ist vor allem das Alter relevant. Die Fälle vom Zeitpunkt der Geburt bis hin zum Alter von fünf Jahren, wie ich sie untersucht habe, betreffen einen besonderen Lebensabschnitt. Die meisten älteren Kinder und auch Jugendliche bis hin zu jungen Erwachsenen befinden sich bereits auf einer ganz andere Ebene. Ihre Erfahrung spielt sich in dem Rahmen ab, den wir von Nahtoderfahrungen kennen, weil ihnen ihre Vergangenheit bewusst ist. Aber die Kleinen können nichts mit einem Vorher vergleichen. Ältere Kinder, Teenager und Erwachsene können das. Über ihre Erfahrungen gibt es Tausende Bücher. Über die Nahtoderfahrungen solcher Kinder sprechen auch Raymond Moody und alle großen Forscher. Ja, es gibt einige wenige Forscher, die sich mit den Erfahrungen von Kindern befassen und auch Bücher darüber geschrieben haben. Aber niemand, vielleicht ein einziger, hat sich ganz auf die jüngste Altersgruppe konzentriert. Und die Erlebnisse der Kinder haben mich umgehauen. Ihre Erinnerungen gleichen einem Fluss, einige von Ihnen sprechen über vergangene Leben. Darüber habe ich in meinem Buch auch berichtet. Aber die meisten erinnern sich an das Jenseits als ihr Zuhause. Man kann das Bewusstsein mit einem Fluss vergleichen. Ab und zu gibt es eine Vertiefung im Fluss, das ist ein Leben auf der Erde. Es steigt hinab, erfährt ein Leben und steigt anschließend wieder herauf, zurück in den Strom.

Erinnern sich die Kinder an irgendwelche Einzelheiten?

ATWATER: Sie erinnern sich nicht an Einzelheiten, wie wir sie beschreiben würden. Sie erinnern sich an Töne, an Empfindungen von Wissen und Zugehörigkeit, an das Erleben von Heimat. Aber sie benutzen dafür nicht unseren Wortschatz. Es ist eine andere Art von Sprache. Und es hat mich fasziniert, ihnen beim Erzählen über diese wahre Heimat zuzuhören, über diesen Fluss des Bewusstseins. Es haut einen wirklich um. Man denkt nur: Ja, ja …!

Wahrscheinlich erfahren Kinder auch keinen Lebensrückblick, so wie viele Erwachsene, die eine Nahtoderfahrung haben …

ATWATER: Kein Lebensrückblick. Es gibt nichts in der Art. Faszinierend ist aber – darüber habe ich im Buch nicht gesprochen, außer in einem besonderen Fall –, dass Babys außerkörperliche Erfahrungen machen. Körperaustritte scheinen so normal für sie zu sein wie das Atmen. Sie wollen wissen, wo ihre Mama ist, was sie macht, und bleiben ihr auf der Spur. Sie wollen auch wissen, wo ihr Papa ist und was er macht. Wenn also Mama und Papa seltsame Dinge gemacht haben, dann bringen diese Kleinen das wahrscheinlich zur Sprache, sobald sie älter sind. 

Das geschieht während einer Nahtoderfahrung, wenn es eine Krise gibt, wenn es den Kleinen schlecht geht, wenn irgendetwas vorgefallen ist?

ATWATER: Nein, nicht während ihrer Erfahrung, sondern nach ihrer Erfahrung. Die Fähigkeit, die Welt zu durchstreifen und sich umzusehen, insbesondere in der eigenen Familie, gehört zu den Nachwirkungen einer Nahtoderfahrung. Die Kleinen wollen wissen, was los ist, vielleicht auch mit ihren Geschwistern. Sie schauen anderen Menschen über die Schulter. Dieses kleine Baby hier drüben wird Dir über die Schulter schauen um zu sehen, was du tust!

Schlafen die Kinder währenddessen?

ATWATER: Nein, sie wandern einfach nur mit ihrem Geist umher.

Das ist faszinierend. 

ATWATER: Wirklich erstaunlich waren für mich zwei Fälle, in denen Kinder von ihrer eigenen Zeugung erzählten.

Also von den allerersten Anfängen …

ATWATER: Eines dieser Kinder hat sogar ein Bild gemalt und es später Mama und Papa gezeigt. Darauf zu sehen war der … sexuelle Teil. Die Eltern waren absolut beschämt, weil es so treffend war. Das Kind hat alles gesehen. Nun, es war damals noch kein Kind, eher noch ein Wesen der Vorstellungskraft, könnte man sagen.  

Wie würden Sie das erklären?

ATWATER: Ich bin davon überzeugt, das wir sind Seelen sind. Wir sind nicht nur unser Körper. Wir sind erfüllt von Geist, von Seele, und unsere Seele ist nun mal unbegrenzt. Sie kann überall hingehen. Sie kann tun, was sie will. Und unsere Seele möchte, bevor sie einen Körper auf der Erde bewohnt, wissen, was rund um diesen Körper vor sich geht. Viele Seelen wissen, dass sie mit einem Auftrag hierher kommen. Einige von ihnen nicht. Manche fühlen sich, als wären sie in dieses Leben hineingeworfen. Aber das Terrain wollen sie trotzdem kennenlernen. Also sehen sie sich um, um zu erfahren, was los ist. Davon berichten viele Geschichten in dem Buch.

Eine sehr faszinierende handelt von Erlebnissen im Mutterleib …

ATWATER: Ja, es ging um ein Mädchen namens Penny. Sie hatte sich immer aufgeregt, wenn ihre Mutter rauchte. Um Himmels Willen, an alle schwangeren Frauen da draußen: Raucht nicht und trinkt nicht, euer Baby wird es mitbekommen! Unmittelbar! Penny war wirklich verärgert, wenn immer sich ihre Mutter eine Zigarette anzündete. Denn dieses Nikotin gelangte direkt in die Gebärmutter und das Kind war davon berauscht. Was ihm gar nicht gefallen hat. Also, an alle Mütter: Eure Kinder bemerken, was vor sich geht!

Erwachsenen Nahtoderfahrene brauchen oft lange, um ihre Erlebnisse zu integrieren, manchmal sogar Jahre. Wie kommen kleine Kinder und Babys mit ihrer Erfahrung im Verlauf ihres Lebens und ihrer Entwicklung zurecht? 

ATWATER: Da zeigt sich ein ganz anderes Muster. Ein Erwachsener braucht durchschnittlich sieben bis zehn Jahre, um seine Erfahrungen zu integrieren. Ein Kind zwanzig bis vierzig. Ein Kind integriert nicht, es kompensiert. Es möchte so sein, wie seine Eltern es sich wünschen. Es will in der Schule zurechtkommen, gut abschneiden, Erwartungen erfüllen. Selbst im Erwachsenenalter messen sich Kinder mit Nahtoderfahrungen immer noch mit den gesellschaftlichen Ansprüchen, die sie um sich herum erfahren. Auf eine Universität gehen, heiraten, all diese Dinge … Sie blicken selten oder nie zurück, um zu erkennen, inwiefern sie von dieser Erfahrung beeinflusst worden sind. Und falls sie es doch tun, kann es sie sehr durcheinanderbringen.

Wollen Sie damit sagen, dass sie es praktisch ausblenden oder einfach nicht daran denken?

ATWATER: Sie wissen nicht, was sie mit ihrem Erleben anfangen sollen, weil sie es nicht in Worte fassen können. In welcher durchschnittlichen Familie wird auch über Astralreisen gesprochen? Oder über die soeben verstorbene Tante, die das Kind geschaut hatte? Normalerweise lernt es während des Aufwachsens, sich zu verschließen, die Klappe zu halten, sich den Menschen, der Gesellschaft anzupassen. Die Kinder blicken nicht zurück, um etwas hervorzuholen, aber sie bringen etwas anderes hervor. Das möchte ich den Leuten wirklich zu verstehen geben: Der durchschnittliche Nahtoderfahrene, sicherlich nicht jeder, aber der durchschnittliche Nahtoderfahrene, kommt begabter zurück, als er es vorher war oder gewesen wäre. Das trifft auch für Kinder zu. Sie wirken intelligenter, vielfach sogar genial. Ihr Verstand arbeitet einfach unglaublich. Ich würde ohne weiteres behaupten, dass 70 bis 75 Prozent der Kinder meiner Studie vor Beginn der ersten Klasse abstrahieren konnten. Ich möchte Ihnen zur genaueren Illustration ein Beispiel geben. Es gab einen Jungen aus Georgia. Er war Schüler der ersten Klasse. Mitten im Schuljahr ist er fast ertrunken und erlebte im Zuge dessen eine Nahtoderfahrung. Er kam dann zurück und … was lesen die meisten Kinder in der ersten Klasse? Ich weiß nicht, wie es in Europa ist, aber in den USA lesen sie zum Beispiel „See Spot Run!“ … Dick und Jane, einfach Geschriebenes eben. Aber dieser Junge las nach seiner Nahtoderfahrung die griechische Mythologie, verstand sie, ging zu seinem Lehrer und fragte: „Warum wurde das Buch Robinson Crusoe jemals geschrieben?“ Dieses Kind abstrahierte. 

Andere kommen nach ihrer Erfahrung mit einer Synästhesie zurück. Dabei werden im limbischen System des Gehirns die normalen sensorischen Fähigkeiten vertauscht oder verändert. Ich wurde selbst mit Synästhesie geboren. In der ersten Klasse war ich das einzige Kind in der Schule, das Farben riechen, Musik sehen und Zahlen hören konnte. Ich wurde ständig dafür bestraft, angeblich eine Lügnerin zu sein. Dabei habe ich nur erzählt, wie ich es wirklich erlebt habe. Synästhesie kann sogar dazu führen, dass sich Eltern gegen ihr Kind wenden, weil sie mit diesem Phänomen nichts zu tun haben wollen. Oder sie übersehen es absichtlich. Das ist ein sehr schwer für das Kind. Glauben Sie mir, ich weiß seit der ersten Klasse, wie schwer es ist, wenn man ständig als Lügnerin bezeichnet wird, obwohl man die Wahrheit sagt.

Manche Kinder entwickeln das also durch ihre Nahtoderfahrung?

ATWATER: Ja, absolut …

Und sie hatten es davor noch nicht?

ATWATER: Nein. Es geschehen also wichtige Dinge im Gehirn und im Nervensystem. Ich beobachte infolge von Nahtoderfahrungen bei den Kleinen oft große neurologische Veränderungen. Gerade dann, wenn die Muster im Gehirn und Nervensystem ohnehin gerade erst etabliert werden. Kinder erfahren dadurch einen anderen Entwicklungsweg oder ein anderes Wachstumsmuster. Und ich hoffe wirklich, dass sich die Wissenschaft eines Tages eingehender mit diesem Phänomen beschäftigen wird. Ich denke, was die Babys, Kleinkinder und Kinder mit einer Nahtoderfahrung erhalten, ist ein Kraftstoß – und zwar zu einem Zeitpunkt, wenn im Gehirn und Nervensystem erst Muster angelegt werden. Es geschehen alle möglichen Dinge mit diesen Kindern. Zum Beispiel haben 67 Prozent von ihnen Schlafprobleme.

Schlaflosigkeit?

ATWATER: Ja. Von außerkörperlichen Erfahrungen berichten 62 %. Bei 61 % gibt es ein Bewusstsein über künftige Ereignisse. 46 % wenden sich Drogen zu, 45 % dem Alkohol. Das sind relevante Zahlen! Und die Kinder tun das nicht unbedingt, weil sie das Gefühl haben, verrückt zu sein. Aber sie wissen, dass etwas nicht mit ihnen stimmt, dass da etwas ist, mit dem sie nicht umgehen können und das ihnen niemand zufriedenstellend erklären kann. Folglich greifen sie zu Drogen oder Alkohol. Bei 90 % verändert sich die Bindung zu ihren Eltern.

Bei 90 %? 

ATWATER: Ja, 90 %! Das heißt nicht, dass diese Kinder ihre Eltern nicht mehr lieben. Es bedeutet nur, dass sie sich nicht mehr an sie gebunden fühlen.

Und warum? 

ATWATER: Sie sehen ihre Eltern mit anderen Augen. Denn was bedeuten Eltern, wenn dem Kind klar ist, dass es von anderswo hierher gekommen ist? Nahtoderfahrene Kinder haben oft das Gefühl, das erst herausfinden zu müssen. Manche von ihnen wissen auch, dass sie zu einem bestimmten Elternteil gekommen sind, und sie wissen auch warum – obwohl ihnen der Grund dafür vielleicht nicht angenehm ist. 

84 Prozent der Kinder kehren von ihrer Erfahrung empathischer zurück, 75 % als hochintelligent. Wenn diese Kinder im Alter von ungefähr sechs Jahren getestet werden, dann zeigen 48 % davon bei einem  Standard-Test einen IQ von 150 bis 160. Das ist Wahnsinn!

Das ist wirklich hoch!

ATWATER: Je jünger das Kind, desto höher der Intelligenzquotient. Nehmen wir Babys, die im Zeitraum bis zum Alter von 15 Monaten eine Nahtoderfahrung haben. Bei 81 % dieser Kinder, die eine Erfahrung mit dunklem Licht anstelle einer Erfahrung mit weißem Licht oder hellem Licht hatten, wurden IQs von 180 und höher getestet. Es passiert also etwas Bedeutendes mit dem Gehirn. 74 % von ihnen kommen mit dem Leben sehr, sehr gut zurecht. Sie werden wohlhabend, viele sind tatsächlich reich geworden. Einige von ihnen wurden sogar Millionäre, sie haben es sehr, sehr gut im Leben. Aber ein ebenso hoher Prozentsatz von 74 % hat das ganze Leben lang Suizidgedanken.

Aber es handelt sich nicht unbedingt um dieselben Menschen?

ATWATER: Nicht unbedingt, aber es ist der gleiche Prozentsatz. Was mir bei Nahtoderfahrenen mit Selbstmordgedanken aufgefallen ist: Es geht ihnen nicht unbedingt darum, sich wirklich umzubringen, auch wenn manche vielleicht davon fantasieren. Bei den meisten handelt es sich um eine Trauer, um den Wunsch zurückzukehren, nach Hause zu wollen. Es sind nicht wirklich Selbstmordgedanken, obwohl wir sie als solche betrachten. In Wirklichkeit ist es eine Art Heimweh. Ich kannte eine 82-jährige Frau, die dieses Heimweh ein Leben lang hatte. Sie kam nie darüber hinweg.

Also nicht nur in jungen Jahren, während der Kindheit oder Jugend …

ATWATER: Das ganze Leben lang. Heimweh nach dem Himmel. Ja. Man muss Nahtoderfahrungen bei Kindern also in wirklich auf eine andere Art und Weise betrachten. Es fällt auf, dass sie sich immens von denen Erwachsener unterscheiden. Die sagen zum Beispiel konkret: Jetzt würde ich gerne Heilerin werden; ich möchte Prediger sein; ich möchte irgendwie im Heilungs- oder Therapie- oder Beratungsbereich tätig sein. Nahtoderfahrene Kinder haben andere Wünsche. Sie wollen in die Wissenschaft gehen, studieren und forschen, um herauszufinden, wie die Welt tickt. Sie wollen alle Gegebenheiten untersuchen. Einige wenige von ihnen werden Hellseher, betätigen sich als Medien oder Heiler. Aber in der Mehrheit gehen sie nicht solche Wege. Und ich habe wirklich den Eindruck, wir sollten uns dieses Phänomen näher ansehen. Irgendwie ist das Gehirn so verändert worden, dass diese Menschen von ihrer Neugier bestimmt werden. Wie tickt diese Welt? Wie hat sie sich gebildet? Was können wir tun, um Dinge zu ändern?

Sie haben vorhin das dunkle Licht und das helle Licht erwähnt …

ATWATER: Nun, eigentlich gibt es drei Lichtqualitäten, und die Kinder reden sehr viel mehr darüber als erwachsene Nahtoderfahrene. Vor allem die jüngeren Kinder erzählen viel davon: Zum einen gibt es dieses wirklich reine, kraftvolle Licht, das eigentlich keiner Farbe zugeordnet werden kann. Es ist absolut strahlend, jenseits von Farbe. Dann gibt es noch das schwarze oder dunkle Licht. Viele sagen, dass es einen violetten Farbton hat. Und letztlich das helle oder weiße Licht, das als unglaublich machtvoll beschrieben wird. Das schwarze oder dunkle Licht wird als liebevoll und sehr heilsam erlebt. Die Kinder lieben es, in diesem Licht zu sein. Es ist einfach wunderbar. Und dieses helle oder weiße Licht – manche sagen, es schimmert sogar ein wenig Silber und Gold darin –, dieses Licht kennt Dich, weiß alles über Dich und Du kannst mit diesem Licht sprechen. Es hat eine tief gehende Bedeutung für Dich und Dein Leben. Die Kinder erzählen davon sehr spezifisch … ich liebe es deshalb, mit Kindern zu arbeiten … sie sagen: Nun, dieses wirklich große, mächtige, strahlende Licht, das ist Gottes Licht. Und dieses schwarze oder dunkle Licht, das ist das Licht der Mutter. Das weiße oder helle Licht hingegen ist das Licht des Vaters. Vaters Licht und Mutters Licht kommen wiederum aus Gottes Licht. Die Kinder sind da sehr konkret!

Waren das Aussagen eines einzigen Kindes oder haben Sie das wiederholt gehört?

ATWATER: Oh ja, ja. 

Laufen Nahtoderfahrungen bei Kindern gleich ab wie bei Erwachsenen? Etwas löst das Verlassen des physischen Körpers aus, und anschließend wandern sie auf ein Licht zu …

ATWATER: Sie wandern nicht unbedingt einem Licht zu. Vielmehr reisen sie, um die Welt zu erkunden, in der sie sich befinden. Sie erkunden ihre Familie. Sie wollen wissen, wo Mama und Papa sind, wollen das Terrain erforschen. Das machen sie oft. Und was die Schule betrifft – die langweilt solche Kinder enorm. Denn sie wissen mehr als der Lehrer, mehr als ihre Eltern. Also verbringen sie die meiste Zeit im Freien, klettern lieber auf Bäume oder ähnliches. Hauptsache, sie kommen irgendwie aus dem Klassenzimmer raus!

Und viele nahtoderfahrene Kinder haben im späteren Erwachsenenalter außergewöhnliche, oft übersinnliche Fähigkeiten, etwa Vorahnungen …

ATWATER: Für diese Kinder ist das gar nichts Außergewöhnliches. Ungewöhnlich ist, wie sie deshalb behandelt werden. Sie werden vielleicht bestraft oder sogar geschlagen, man macht sich lustig über sie oder bezeichnet sie als Lügner. Man weiß nicht mit ihnen umzugehen, deshalb werden die Kinder oft gemieden. In der Schule haben sie viele Probleme, andere Kinder machen ihnen das Leben wirklich schwer. Deshalb lernen sie, die Klappe zu halten, ihre Empfindungen nicht mehr zu teilen. Meistens wissen sie von Gegebenheiten in der nahen Zukunft, manchmal reicht ihre Vorausschau auch weiter in die Zukunft. Ich habe zum Beispiel mit einem etwa 12-jährigen Mädchen gesprochen. Es meinte: Warum sollte ich auf Dates gehen? Ich weiß ja, was geschehen wird, was er tun wird. Also lehne ich seine Einladung einfach von vornherein ab! Oder es hieß: Warum sollte ich mit den anderen Kindern ins Auto steigen? Ich weiß sowieso, wohin sie fahren und was sie dort tun werden. Ich möchte aber nicht mitmachen. Also sage ich gleich ab …

Der Literatur zufolge erzählen erwachsene Nahtoderfahrene manchmal, Engel gesehen zu haben. Sie sagen, dass kleine Kinder etwas anderes beschreiben …

ATWATER: Ein kleines Kind wird nicht den Begriff Engel verwenden. Es sei denn, es hat ihn vorher mal im Fernsehen oder in seiner Familie gehört. Kinder erzählen eher von einem „Leuchtenden“ oder einem „Liebenden“. Ich wurde einmal von einem Reporter kontaktiert. In Missouri hatte es einen riesigen Tornado gegeben, der auch viele Menschen getötet hatte. Einige Kinder hatten dort von Schmetterlingsmenschen berichtet. Überall seien Schmetterlingsmenschen gewesen. Deshalb rief mich der Reporter an, denn er kannte meinen fachlichen Hintergrund. Und er erzählte eben, die Kinder würden rettende, beschützende Wesen beschreiben, die sie dort gesehen hatten – eben Schmetterlingsmenschen. Ich bestätigte, dass das die Aufrichtigkeit der Kinder belegt. Hätten sie den Begriff Engel benutzt, dann wohl deshalb, weil sie jemand dazu aufgefordert hatte. Von sich aus verwenden Kinder diesen Begriff nicht.

Und solche Berichte gab es von mehreren Kindern …

ATWATER: Ja, von vielen. Aufgrund der außergewöhnlichen Geschichten, die kleine Kinder oft erzählen, habe ich sechs eBooks entworfen und geschrieben, wundervolle kleine Bücher für Kinder – die „Animal Light Series“. Und ich möchte damit hauptsächlich auch die Eltern ansprechen. Denn sie können ihrem Kind eine Tür öffnen und sie dazu animieren, Erinnerungen zuzulassen, etwa an die eigene Geburt. Dafür muss man keine Nahtoderfahrung gehabt haben, es gilt auch für ganz normale Kinder. Die meisten Kinder mit Nahtoderfahrungen können sich an ihre Geburt erinnern – und ich wette, dass das viele normale Kinder auch können. Deshalb habe ich diese Bücher hauptsächlich für Eltern geschrieben. Sie können sie gemeinsam mit ihren Kindern durchgehen, ihnen laut vorlesen und sie zum Beispiel fragen: Erinnerst du dich auch an so etwas wie Busy Betty Wiggles?

Die Bücher sollen also bestimmte Erinnerungen beim Kind auslösen, damit es darüber sprechen kann …

ATWATER: Ja, speziell dafür sind sie gedacht. Ein wichtiges Thema, über das wir jetzt oft mit den Müttern sprechen und auch mit Menschen, die als Kleinkind ein Nahtoderlebnis hatten, sind Fehlgeburten. Denn in meinen Recherchen hat sich gezeigt, dass Kinder, die von ihrem Erlebnis berichten, auch wissen, dass im Bauch ihrer Mutter zuvor bereits ein anderes Kind gewesen ist. Sie sprechen tatsächlich von sich aus über dieses Kind, sobald sie älter sind, und wollen von ihrer Mutter wissen, wer denn eigentlich gestorben ist, bevor sie selbst gekommen sind. Woher sollte das Kind davon wissen? Die Mutter läuft normalerweise ja nicht umher und erzählt, sie hätte vor drei Jahren eine Fehlgeburt gehabt. Aber Kinder mit Nahtoderfahrungen wissen darüber Bescheid. 

Wenn wir also wirklich tief in das eintauchen, was Kinder sagen, zwingen uns die Schilderungen, über unser Menschsein nachzudenken. Was ist das, das wir die Seele nennen? Wie hängen Leben und Tod zusammen? Was hat es mit dem Lebenskontinuum oder dem Bewusstseinsfluss auf sich? Was sind wir eigentlich, wenn wir außerkörperliche Erfahrungen machen können? Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel dafür geben …

Sie haben gerade meine Gedanken gelesen …

ATWATER: Das finde ich toll! Es handelte sich um ein Kind namens Alma. Es war ungefähr zwei Jahre alt, als es von einem Freund der Familie vergewaltigt wurde. Ein Mann, ein älterer Mann öffnet die Tür zum Zimmer des Mädchens und macht sich über die Kleine her. Als sie unter seinem Bauch fast erstickt, weil er sie vergewaltigt, befindet sie sich plötzlich an der Zimmerdecke und blickt nach unten. So rettet sie sich. 

Eltern, Berater oder Therapeuten sollten erkennen, dass das ein Verteidigungsmechanismus ist. Dieser Körperaustritt hat wenig oder gar nichts mit Astralreisen zu tun – es sei denn, so etwas würde regelmäßig passieren. Es ist ein Abwehrmechanismus. Und für das Kind spielt es auch keine Rolle, ob es eine Nahtoderfahrung hatte oder nicht. Es verlässt seinen Körper, sobald es sich in einer extremen Situation befindet und beobachtet die Gegebenheiten von oben, wenn es etwa geschlagen oder vergewaltigt wird. Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass das Kind später darüber redet, denn wer würde ihm glauben? Es beobachtet, was geschieht – und rettet sich, rettet seine Identität, indem es den Körper verlässt …

… um das nicht erleben zu müssen …

ATWATER: … und um anschließend wieder zurückzukehren und den Körper wieder zu bewohnen. Aber die Essenz, das Bewusstsein, die Seele des Kindes geht zunächst. Wir denken, dass außerkörperliche Erfahrungen übernatürliche Fähigkeiten bedingen. Aber bei Kindern kann das ein Verteidigungsmechanismus sein. Sie retten dadurch ihre Identität, das Kostbarste in ihnen.

Die Fälle, die Sie in Ihrem Buch beschreiben, zeigen auch andere außergewöhnliche Dinge. Zum Beispiel konnte ein Kind erkennen, wie ein Gebet funktioniert …

ATWATER: Oh ja, die Gebetsstrahlen! Ein kleiner Junge sagte es einfach gerade heraus: Das sind Gebetsstrahlen! Und er hat sie auch beschrieben: Es gibt ein Licht, ein Lichtband, das aus der Person, die das Gebet spricht, austritt, und zu der Person übergeht, der das Gebet gilt. Ein Gebet besteht also nicht nur aus den Worten, die man spricht und nicht nur aus den damit verbundenen Empfindungen. Es entsteht eine Art Energieband, ein Strahl aus Energie. Ich fragte den Jungen, was denn passiert, wenn dich ein Gebetsstrahl trifft. Er solle mir das beschreiben. Und er antwortete: „Oh, es ist einfach warm. Ich fühle mich überall warm und kuschelig.“ Ich fand das einfach toll: Kinder können tatsächlich Gebete sehen!

Damit es kein Missverständnis gibt: Handelt es sich hier um etwas, das das Kind während seiner Nahtoderfahrung erlebt hat? Oder können Kinder auch danach so offen sein, dass sie unsichtbare Dinge wahrnehmen, dass sich ihnen die mystische Welt öffnet?

ATWATER: Sie steht ihnen einfach offen!

Also erzählen sie auch weiterhin von solchen Phänomenen?

ATWATER: Sie hören erst auf, wenn sie älter sind und oft genug erlebt haben, dass man sich über sie lustig macht. Oder wenn sie merken, dass andere Kinder das nicht tun. Aber ja, es geht im Grunde genommen ihr ganzes Leben lang weiter. 

Was erzählen Kinder über Jesus oder andere Gottheiten, die für Erwachsene wichtig sind?

ATWATER: Ich traf in meinen Forschungen auf drei Menschen, die in Voodoo-Kulturen aufgewachsen sind. Sie hatten noch nie von Jesus gehört, noch nie von Gott, nie von der Bibel. Nichts in dieser Art. Und sie waren nicht miteinander verwandt, kannten einander auch nicht. Die drei berichteten, dass sie in ihrer Nahtoderfahrung von Jesus besucht worden seien. Alle drei nannten Jesus beim Namen. Wie erklären Sie sich das? Wo lässt sich das verstandesmäßig einordnen? Spirituell kann ich so etwas nachvollziehen. Aber als Forscherin weiß ich nicht, wo oder wie ich es zuordnen soll.

Ja, verständlich!

ATWATER: Eine Anomalie! Das ist wirklich eine Anomalie!

Gab es nicht auch den Fall eines Kindes, das in Asien aufgewachsen war, in Hongkong …

ATWATER: Genau! Ich hatte mit einigen Chinesen zu tun, die ebenfalls keine Kenntnis von Gott und der Bibel hatten. Wenn sie über Ereignisse sprachen, dann verwendeten sie natürlich andere Worte, aber sie brachten damit dasselbe zum Ausdruck, die selben Muster. Ich habe dieses Prinzip kennengelernt, als ich mich – vor Jahrzehnten schon – mit erwachsenen Nahtoderfahrenen beschäftigte. Dadurch ist mir der Gebrauch unterschiedlicher Worte für bestimmte Bilder oder Idole vertraut. 

In einigen fernöstlichen Ländern spricht man von Yamatoots. Das sind Boten des Yama, der so etwas wie ein Herrscher der Unterwelt ist. Ein befreundeter Forscher ließ diese Menschen ein Bild von ihren Yamatoots malen. Und ich ließ einen Cowboy aus Wyoming und mehrere andere Leute ihre Engel zeichnen, zu denen sie einen Bezug hatten. Im Ergebnis konnte man überhaupt keinen Unterschied erkennen. Der einzige Unterschied liegt also in den verwendeten Worten, in der Kultur. Aber die Sache an sich war dieselbe!

Einige Nahtoderfahrene erzählen von einer Vision von der Entstehung des Universums, von dem kreativen Prozess. Sie benutzen dafür unterschiedliche Worte, scheinen aber vom Selben zu reden. Wie schätzen Sie den Wert, die Validität solcher Berichte ein? Sind es nur subjektive Erfahrungen, die der Person selbst etwas vermitteln sollen? Oder tragen sie eine größere Wahrheit in sich?

ATWATER: Grundsätzlich konnte ich vier verschiedene Kategorien von Nahtoderfahrungen beschreiben. Der erste Typ ist die sehr schnelle Erfahrung mit nur wenigen Aspekten. Kinder erleben oft so etwas. Die zweite Kategorie ist die unangenehme oder höllische Erfahrung. Davon berichtete in meinen Forschungen jeder siebente Nahtoderfahrene. Dann gibt es das angenehme oder himmlische Erlebnis, von dem etwa 48 % berichtet haben. Und zuletzt gibt es noch eine Kategorie, die ich transzendente Erfahrung nenne. In dieser wird kaum von einem Lebensrückblick berichtet. Das Erleben ist mehr auf die Welt, wie wir sie kennen, ausgerichtet, wie sie wirklich ist und was man tun kann, um sie zu einem besseren Ort zu machen. 

Der Lebensrückblick findet in den Nahtoderfahrungen der zweiten und dritten Kategorie statt. Also entweder innerhalb der unangenehmen oder der angenehmen Erfahrung. Wenn wir also über die ganz großen Zusammenhänge sprechen, müssen wir uns ansehen, wie tief die Erfahrung war, wie lange sie gedauert, wie sie sich ausgewirkt hat. Bei vielen Erfahrungen von Erwachsenen liegt der Fokus mehr auf dem Körperaustritt oder auf dem Lebensrückblick. Nicht viele gehen in andere Welten, und wenn, dann höchstens kurzzeitig. Im Jenseits empfangen sie geliebte Menschen, die bereits gestorben und aufgestiegen sind, vielleicht ein engelhaftes Wesen, aber auch Tiere. Möglicherweise ein Haustier, das zuvor gestorben und weitergezogen war und nun wieder zurückkommt. Oder zum Beispiel Vögel. Viele Erwachsene und Kinder sehen Vögel in ihrer Erfahrung. Ich weiß nicht, warum, aber es es wird oft von Vögeln berichtet. Der häufigste Aspekt, das wichtigste Erlebnis-Element ist aber die außerkörperliche Erfahrung. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Geschichte eines Herrn, der einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Rettungskräfte transportierten ihn im Krankenwagen, er erlebte sich jedoch oben drauf. Er war nicht in seinem Körper, der von den Rettern versorgt wurde. Und er genoss die Reise, freute sich und hatte eine wundervolle Zeit, die er im Nachhinein als „sehr nett“ beschrieb. Solche Geschichten hört man oft. Aber es gibt auch Menschen, die Tieferes erleben – ich bin einer von ihnen – und größere Zusammenhänge erkennen konnten, verschiedene Welten, unterschiedliche Dimensionen. 

Aber man sollte generell damit rechnen, dass jeder Mensch das, was er erlebt, immer nur im Rahmen seiner sprachlichen Möglichkeiten und des in seiner Kultur Üblichen beschreiben kann. Wenn etwas darüber hinaus geht, wird es schwer. Viele haben damit wirklich zu kämpfen. Denn was sind schon Worte? Wie beschreibt man eine tiefere Nahtoderfahrung? Das Erlebte lässt sich nicht verbalisieren. Viele Menschen vermuten sich deshalb an der Grenze zum Wahnsinn, fragen sich, ob sie bei noch Sinnen sind. Einige kommen zurück und behaupten, dass es einen ersten Himmel, einen zweiten, einen dritten und einen vierten Himmel gibt. Wieder andere beschreiben unterschiedliche Dimensionen, Geschwindigkeiten, unterschiedlichste Gegebenheiten, die sie erlebt haben. Manche kommen tiefgreifend verändert zurück und sind absolut unfähig, das, was ihnen begegnet ist, mit Worten zu beschreiben. Von den nahezu 5000 Erwachsenen und Kindern, mit denen ich gearbeitet habe, akzeptieren 98 % oder 99 % die Existenz Gottes. Sie kommen aber nicht zurück und glauben an Gott, sondern sie haben das Göttliche erlebt. Das ist ein riesiger Unterschied. Viele, die vorher ungläubig oder Atheisten waren, meinen nach ihrer Erfahrung: „Wow, ja, es gibt einen Gott.“ Stimmt diese Gotteserfahrung mit den Beschreibungen überein, wie wir sie aus dem Islam, dem Christentum oder anderen Religionen kennen? Nicht unbedingt. Manche Berichte passen zu den bekannten Bildern, aber die meisten Nahtoderfahrenen sind nicht in der Lage, das Göttliche wirklich zu beschreiben. Es ist zu groß und mächtig und umfassend. Wir haben keine Worte in unserem Vokabular, die Gott wirklich umfassend beschreiben könnten.

Ein wichtiges Merkmal ist auch die absolute Überzeugung von Nahtoderfahrenen, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Geht es nach dem Tod weiter? Jawohl! Mit vollster Überzeugung: ja! Werden wir immer von jemandem empfangen, wenn wir sterben? Nein, nicht immer. Meine Mentorin, Elisabeth Kübler-Ross, meinte noch: „Ja. Garantiert. Es gibt immer jemanden, der einen abholt.“ Aber das ist nicht so sicher. In meiner persönlichen Erfahrung war das zum Beispiel auch nicht der Fall. Wesen traf ich erst später. Indes sind die meisten Nahtoderfahrenen absolut davon überzeugt, dass jeder Mensch eine Seele hat. Es gibt eine Seele. Wir sind nicht nur ein Körper mit all diesen flauschigen Haaren. Ich bin fast 84 Jahre alt, wow! Aber ich meine, was heißt das schon? Ich bin eine Seele! Ein großartiges Vehikel aus Energie und Feuer und Neugier und Wissen und Freude. All das hat nicht nur mit dem menschlichen Körpers zu tun. Es passt gar nicht zu unserem Verständnis darüber, was ein Körper ist. Wir sind Seelen!

Damit haben Sie wohl auch schon meine letzte Frage beantwortet. Ich wollte Sie bitten in, ihre wichtigsten Schlussfolgerungen aus allen Berichten zusammenzufassen. 

ATWATER: Nummer eins: Es gibt Gott. Nummer zwei: Wir sind Seelen. Wir sind Teil einer riesigen Ansammlung vieler Wesen, und wir sind hier, um ganz nach unseren Bedürfnissen zu lernen, das Leben zu erfahren – geleitet von unserer Neugier oder dem, was wir gerade für richtig halten. 

Was mich persönlich jeden Tag aufs Neue begeistert, ist: Ich erfüllt von Gott! Wie könnte es jemals eine andere Wirklichkeit geben? Und die Art und Weise, wie ich das ausdrücke, ist die Freude! Auch wenn es mir schlecht geht – ich bin dennoch froh! Ich meine, ich könnte verletzt werden, aber ich würde fröhlich bleiben. Wie beschreibt man so etwas?

Ich denke, Sie haben es wunderbar erklärt!

ATWATER: Vielleicht interessiert Sie ja auch noch, wie ich zu meinem Namen gekommen bin …

Ja, klar!

Was immer ich tue, basiert auf Gebet. So lebe ich mein Leben. Und auf diese Weise kam ich auch zu meinen Namen. Ich hatte nämlich eine Vision. Es war die ungewöhnlichste, dramatischste und kraftvollste Vision, die ich jemals hatte. Sie zeigte einen schwarzen Bildschirm. Ein schönes, warmes Schwarz. Auf dem Bildschirm waren massive weiße Blockbuchstaben zu sehen: P. M. H. Atwater. Ich war von diesem Bild so geschockt, dass ich aus dem Bett sprang. Ich landete zum Glück auf meinen Füßen und blickte nun auf eine helle Wand. Und so wurden die Farben vertauscht, und die Blockbuchstaben erschienen in einem schönen Schwarz. Einer der Buchstaben schien mir fast auf die Nase zu fallen, so echt erlebte ich sie. Also verließ ich schreiend das Zimmer, das ich damals von einem Rentnerpaar gemietet hatte. Anschließend saßen wir in der Frühstücksecke, und ich erzählte von P. M. H., und dass das der dümmste, egoistische, lächerlichste Name war, den ich je gehört hatte. Aber als ich mir so zuhörte, realisierte ich, dass ich über den Namen lästerte. Und ich dachte: Moment mal, ich hatte Gott darum gebeten, mir einen Namen zu gehen. Vielleicht sollte ich also wieder ins Gebet zurückkehren und fragen, ob ich alles richtig interpretiert habe. Ist das wirklich der Name, den ich für den Rest meines Lebens tragen soll? Es erschien mir verrückt, also vertiefte ich mich wirklich wieder im Gebet. Ich weiß nicht mehr genau, wie lange das gedauert hat, aber drei oder vier Wochen später hatte ich tatsächlich das Gefühl, mit diesem Namen geboren worden zu sein. Er fühlte sich nun absolut richtig an. Also habe ich meinen Namen legal ändern lassen. Ich meine, lassen Sie einfach die Abkürzungspunkte weg: PMH ist ein Name! Es sind keine Initialen, es ist mein Name. Aber mir ist erst etwa 20 Jahre später klar geworden, warum mir dieser Name gegeben wurde. Es ist im Grunde ganz einfach: Mit einem weiblichen Namen wäre meine Arbeit im Bereich der Nahtod-Studien nie akzeptiert worden. Wir reden hier ja von den 1980-er Jahren. Meine Arbeit wäre einfach nicht angenommen worden. Ich musste entweder einen männlichen oder einen neutralen Namen haben. Alle meine Arbeiten erschienen also unter P. M. H. Atwater, das ein neutraler Name. Gott hat offenbar genau gewusst, was nötig ist. Nur ich stand auf der Leitung. Aber ich trage den Namen nun mit Stolz und Freude und Dankbarkeit. Gott wusste genau, was er tut!

Danke für diese abschließenden Schilderungen – faszinierend! Und vielen Dank für Ihre Zeit. Ich freue ich mich schon sehr auf die nächsten … drei Bücher!

ATWATER: Mit Sicherheit wird es ein nächstes geben. Vielen Dank und auf Wiedersehen – an alle!

 

Interview: Jens Rohrbeck
Übersetzung: Alexandra Grasmik
Redaktion: Werner Huemer

 

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