Marcus Coles Reinkarnationsdrama „Tränen der Erinnerung“
Jenny Cole (Jane Seymour) und ihr Mann Doug (Clancy Brown) haben sich selbständig gemacht. Ihr pubertierender Sohn Kevin (Kyle Howard) wird bald das College besuchen. Das Geld ist knapp, und eigentlich sollten die Coles alle Kräfte konzentrieren, um ihr Unternehmen in Schwung zu bringen und finanziell über die Runden zu kommen.
Aber Jenny hat Probleme. Sie wird zunehmend von inneren Bildern geplagt. Tagträume, die nicht wieder vergehen, sondern ein reales Eigenleben führen, sich zu einer Lebensgeschichte formen und die Aufmerksamkeit der Frau mehr und mehr vom normalen Alltag ablenken.
Sukzessive verbinden diese Bilder Jenny mit dem tragischen Leben einer jungen Frau, die einen gewalttätigen Trinker als Mann an ihrer Seite hat, der sie rücksichtslos schwängert, obwohl sie nach einer Fehlgeburt kein Kind mehr bekommen sollte, was schließlich zu ihrem frühen Tod führt.
Jenny weiß bereits, dass diese Frau Mary heißt und mit ihrer Familie in Irland lebt, irgendwann in den 1930-er Jahren.
Doug steht diesen Erlebnissen seiner Frau hilflos gegenüber. Für ihn sind es unbedeutende Tagträume, und er kann nicht verstehen, dass sie für Jenny wichtiger werden als die eigene Familie und das gemeinsame Unternehmen.
Indes ist sie davon überzeugt, dass es sich um echte Erinnerungen handelt, die nun machtvoll hervorbrechen. Denn Jenny fühlte sich Marys Leben schon seit ihrer frühen Kindheit verbunden. Damals zeichnete sie bereits Straßenkarten von deren Heimatstädtchen – ohne freilich zu wissen, wo es genau liegt und wie es heißt. Und vor allem sind ihr unzählige Details aus gemeinsamen Erlebnissen mit den vier Kindern bewusst, die sie bei ihrem alkoholkranken Mann zurücklassen hatte müssen.
Ja, sie hatte ihre Kinder zurück gelassen. Jenny ist davon überzeugt, dass sie selbst einst Mary gewesen ist – und sie ist entschlossen, den Beweis dafür zu finden.
Schließlich gelingt es ihr auf Grund der Karten, die sie gezeichnet hatte, Marys Heimat als das Küstenstädtchen Malahide zu identifizieren. Also reist sie dorthin und begibt sich auf Spurensuche. Denn es wäre ja möglich, dass „die Kinder von gestern“ („Yesterday’s Children“ lautet der englische Originaltitel des Films) – ihre Kinder – noch leben! Und dass es ihr gelingen könnte, sie wieder in die Arme zu schließen!
Den erhofften Beweis dafür, dass ihre Erinnerungen keine Einbildung sind, findet Jenny in Irland unmittelbar, die Straßen und Gassen Malahides sind ihr vertraut. Und nach einiger Mühe kann sie auch in Erfahrung bringen, dass in der Gegend, die sie so gut kennt, vor vielen Jahren tatsächlich eine Frau namens Mary – Mary Sutton – mit ihrer Familie gelebt hat.
Zu guter Letzt fügt sich sogar das kaum Vorstellbare: Jenny lernt zunächst Sonny (Hume Cronyn) kennen, Marys jüngsten Sohn, inzwischen ein alter Mann, und dann auch dessen Geschwister. Bei einer großen Familienzusammenkunft werden schließlich unter Tränen der Freude Erinnerungen ausgetauscht.
Doch werden die Sutton-Geschwister akzeptieren können, dass Jenny, diese fremde junge Frau in ihrer Mitte, die seltsamerweise Einzelheiten aus ihrer gemeinsame Kindheit weiß, sie miterlebt zu haben scheint, einst ihre Mutter war?
Regisseur Marcus Cole lässt diese Frage in seinem Fernsehfilm offen. Vielleicht ist das auch gut so. Denn eine fundierte psychologische Aufarbeitung der Situation hätte das Niveau dieser an sich gut gelungenen, aber unspektakulären Produktion vermutlich überfordert.
Zweifellos tritt ein Melodram, das die Möglichkeit von Reinkarnation so unverblümt zum Thema macht, gegen eine Menge Vorurteile an und läuft Gefahr, als unglaubwürdiger „Esoterik-Quark“ abgetan zu werden. Vielleicht hat diese Gefahr die Drehbuchautoren dazu verführt, die Romanvorlage – dem Film liegt die Autobiographie der Engländerin Jenny Cockell zugrunde – zu dramatisieren und ein wenig Phantasie in die Schilderung der näheren Lebensumstände zu investieren.
Aus meiner Sicht war das vergebliche Liebesmüh‘. Es wäre besser gewesen, einfach der Wirkung der spannenden und gut dokumentierten wirklichen Begebenheiten zu vertrauen, denn die sind bewegend und erstaunlich genug und haben bei Forschern, die sich mit dem Thema Reinkarnation befassen, bis heute einen besonderen Stellenwert.
Jenny Cockell gelang es tatsächlich, ihre Erinnerungen zu verifizieren und die „Kinder von gestern“ ausfindig zu machen. Sie bekam von ihnen sogar die ersehnte Umarmung. Die Familienzusammenkunft, die nach einer Phase der Annäherung (die der Spielfilm weitgehend ausspart) stattfinden konnte, ist fotographisch und auf Film dokumentiert.
Jenny Cockell ist eine einfache, sympathische, glaubwürdige Frau, die, wie sie erzählt, nach den erfolgreichen Recherchen in Irland auch andere frühere Erdenleben erforscht hat.
Aber obwohl sie dadurch selbst von der Reinkarnation überzeugt ist, möchte sie niemanden „bekehren“. Jenny hat auch gegenüber ihren früheren „Kindern“, die eher christlich orientiert waren, nie Druck ausgeübt, ihrer Sicht der Dinge zuzustimmen.
Die Frage, die Marcus Coles Filmdrama offen lässt, ob denn schließlich auch alle anderen davon überzeugt waren, dass es wiederholte Erdenleben gibt, beantwortete Jenny Cockell in einem Interview so:
„Ich habe zuerst Sonny getroffen und anfangs nicht über Reinkarnation gesprochen. Etwa bei dem fünften oder sechsten Treffen hat er das Thema dann selbst angeschnitten. Und ich sagte ihm, nach meiner Überzeugung handle es sich um Reinkarnation, aber er müsse das nicht so sehen. Und er sagte nur: Hmm …! Aber er schien ganz zufrieden mit dieser Erklärung zu sein.
Das erste Mal, dass über Reinkarnation als Erklärung für die Ereignisse gesprochen wurde, war, als wir erstmals alle zusammen waren. Die Mädchen, Phyllis und Betty, dachten beide, dass ihre Mutter durch mich sprach, und es war ihnen unangenehm, das zu sagen, weil sie merkten, dass ich nicht so dachte. Merkwürdigerweise betrachteten sie mich zwar nicht als ihre Mutter, aber dennoch behandelten sie mich so.
Frank hatte ein Nahtoderlebnis. Als ich ursprünglich mit ihm Verbindung aufnahm, wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Dann aber hatte er einen schweren Herzinfarkt und ein Nahtoderlebnis, und erkannte, dass es mehr geben musste, dass es nach dem Tod weitergeht. Danach zeigte er Interesse und hat es recht gut angenommen.
Christy demonstrierte deutlich mit Worten, dass er die Reinkarnation akzeptierte. Er hat allen anderen erklärt: Ja, das ist in Ordnung, auch wenn es die Priester nicht so sehen.
Ich hatte also Glück, dass alle zufrieden waren. Aber ich würde nie jemandem sagen, was er denken soll.“
Werner Huemer