2015 erschien im „Komplett Media“-Verlag mein Buch „Unsterblich?! – Gute Gründe für ein Leben nach dem Tod“. Ich habe mich darin vor allem mit dem traditionellen Begriff der Seele befasst und mit dem Vorurteil, die Existenz eines solchen „immateriellen Wesenskerns“ sei naturwissenschaftlich widerlegt. Meine Arbeit thematisierte aber auch Ideen, die zu körperlicher Unsterblichkeit führen sollen, etwa die Technik des Kryonisierens. Heute, zehn Jahre später, sind andere Utopien und Schlagworte ins Zentrum gerückt – voran der „Transhumanismus“. Aber für das Wesentliche sind diese modernen Überlebensutopien nach wie vor blind.
Konserviert bei minus 196 Grad
Das Konzept des Kryonisierens erlebte bis vor wenigen Jahren, ausgehend von den USA, einen Hype. Der simple Gedanke dahinter: Man lässt seinen Körper einfrieren und konservieren – in der Hoffnung, in einer besseren Zukunft mit weit fortgeschrittener Technologie zu neuem Leben erweckt werden zu können.
Die Praxis ist nicht ganz so einfach: Der Körper wird unmittelbar nach dem klinischen Tod zunächst auf knapp über Null Grad abgekühlt, das Blut durch Kühlflüssigkeit ersetzt. Dann wird er in einen Tank mit flüssigem Stickstoff gekippt und bei minus 196 Grad konserviert – für wie lange auch immer.
Der wichtigste Begleiter für die ganze Prozedur ist das Prinzip Hoffnung.
Die Hoffnung, dass ein klinisch toter Körper irgendwie doch noch nicht ganz tot ist, dass also nicht einfach eine Leiche konserviert wird.
Die Hoffnung, dass die Verantwortung für die Stickstoff-Tanks, in denen jeweils mehrere ganze Körper oder ein paar Dutzend „Neuros“ (abgetrennte Köpfe) gelagert werden, tatsächlich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte von irgendjemandem wahrgenommen wird.
Die Hoffnung, dass es keinen Stromausfall gibt.
Und vor allem die Hoffnung, dass in der fernen, wunderbaren Zukunft verstanden sein wird, wie „Leben“ und „Bewusstsein“ funktionieren und wie die Qualität einer Ich-Empfindung in den wieder aufgetauten Körper(teile)n aktiviert werden kann.
Hoffnungsvolle investieren Zehntausende Euro in diesen vagen Traum von der Unsterblichkeit.
Digitale „Unsterblichkeit“
Mittlerweile steht der Kryonisierungs-Hype allerdings im Schatten einer wachsenden Überlebens-Utopie, die mit den Erfolgen der Künstlichen Intelligenz einher geht. Die simple Idee: Menschliches Bewusstsein wird auf Computersysteme übertragen und überlebt auf diese Weise körperlos.
Auf die Utopie der biologischen Unsterblichkeit folgt die der digitalen.
Für einen solchen Bewusstseins-Transfer ist zwar keine Technik in Aussicht, aber der Gedanke erhält durch die unter Technik-Gläubigen verbreitete Philosophie des Transhumanismus zunehmend Aufwind.
Dabei geht es im Wesentlichen darum, mit Hilfe fortgeschrittener oder noch zu entwickelnder Technik die Grenzen menschlicher Möglichkeiten zu erweitern. Cyborg-Technologien, die neuronale Leistungen verbessern und den Menschen insgesamt technikkompatibler machen sollen, gehören ebenso dazu wie die Entwicklung einer „Super-KI“ oder gentechnischer Werkzeuge, die biologische Gegebenheiten optimieren sollen. Und sofern es um den Gedanken geht, die Menschheit müsse ihren sterblichen Heimatplaneten irgendwann hinter sich lassen, sind auch Raumfahrtprogramme vom Transhumanismus inspiriert.
In jüngster Zeit hat vor allem die Künstliche Intelligenz die Hoffnung befeuert, durch technische Entwicklungen die Unsterblichkeit zu erreichen. Denn sogar in kreativen Bereichen, die bis vor kurzem dem ureigen Menschlichen zugerechnet wurden, beweisen KI-gestützte Apps, dass Rechenleistungen zu vergleichbaren Ergebnissen führen. Der Weg zu einer alle menschlichen Beschränkungen überragenden „Super KI“ erscheint nicht mehr weit.
Raymond Kurzweil, US-amerikanischer Erfinder – er hat unter anderem Pionierarbeit für die optische Texterkennung (OCR) und die Spracherkennung durch Computer geleistet – und Leiter der technischen Entwicklung bei „Google“, hat prognostiziert, dass die Menschheit schon in 20 Jahren (2045) durch die Verschmelzung mit Künstlicher Intelligenz unsterblich sein werde (vgl. „Die Götter des Silicon Valley“, „Falter“ 48/24).
Solche Verheißungen werden kaum kritisch hinterfragt. Erstens, weil sie durch die rasanten Entwicklungen im Bereich der KI bestätigt erscheinen. Und zweitens, weil es dem heute vorherrschenden materialistischen Weltbild zufolge tatsächlich möglich sein könnte, dass es zu einer „technologischen Singularität“ kommt, in der die Technik, das Künstliche, alles Menschliche übertrifft.
Im Materialismus wird der Mensch allein durch seinen Körper definiert; Geist und Seele haben demnach ausschließlich mit dem Gehirn zu tun. Sobald also die Technik die Grenzen der Biologie überwindet, sollte sich der Weg zur Unsterblichkeit öffnen.
Ein kleiner Schönheitsfehler
Der „kleine“ Schönheitsfehler in diesem Konzept liegt darin, dass es das Wesen des Menschseins nicht berücksichtigt.
Was uns letztlich ausmacht, ist ja Bewusstsein. Es sind Qualitäten, die das Leben lebenswert machen: Wünschen, hoffen, bangen, empfinden … das sind unbegrenzte, nicht quantifizierbare Erlebnisgehalte, über deren Zustandekommen wir trotz aller Forschungen am Gehirn praktisch nichts wissen.
Wie soll aus dem Neuronenfeuer unter der Schädeldecke Bewusstsein entstehen? Wie aus bloßer Informationsverarbeitung?
Jede Technologie, jedes Computerprogramm und auch alles Körperliche lässt sich quantitativ erfassen, in Einheiten und Zahlen darstellen, berechnen. Doch wenn es um die menschliche Innenwelt geht, um das Seelisch-Geistige, stößt der Materialismus an seine Grenzen. Es gibt schlicht und einfach keine Möglichkeit, Erlebnisqualitäten zu schaffen, zu speichern oder zu reproduzieren.
Ähnliches gilt für den geheimnisvollen Begriff des Lebens. Wir können ein Lebewesen in seine kleinsten Bestandteile zerlegen (und es dabei töten), nicht aber aus den Einzelteilen wieder ein lebendes Wesen erschaffen. Der Materialismus gibt bestens Aufschluss über chemische oder physikalische Prozesse, aber er steht Lebensprozessen fremd gegenüber.
Insofern können die Aussichten auf digitale Unsterblichkeit als eher traurig eingestuft werden.
Transhumanismus vs. Demokratie
Aber auch wenn transhumanistische Philosophien bisher kaum in Frage gestellt werden, so gibt es zunehmend Bedenken wegen ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft. Denn Ideologien, die – in welcher Form auch immer – auf einen „Übermenschen“ abzielen, sind in ihrem Kern nicht demokratisch. Sie gehen ja davon aus, den richtigen Weg in eine glorreiche Zukunft zu weisen und diesem höheren Ziel zu dienen. Mitzureden hat dabei niemand, der Zweck heiligt jedes Mittel, Kollateralschäden unter den Kleingläubigen und Unwissenden werden in Kauf genommen.
Als Beispiel für diese Gesinnung nennt die Journalistin Nina Paulitsch in ihrem Essay „Die Götter des Silicon Valley“ auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Der Kreml schwärmt für Unsterblichkeit und das »russische Genom«. Solche Ideen fließen in Putins Politik ein. […] Mit intensiver Zellforschung wollen Putins Transhumanisten einen Weg finden, um den Alterungsprozess zu stoppen.“
Besonders bedenklich wird es für die Gesellschaft, wenn sich eine solche Ideologie mit einem ausgeprägten Größen- und Machbarkeitswahn paart.
Paulitsch verweist in dem Zusammenhang auch auf den Tech-Milliardär Elon Musk, der als Personifizierung des Transhumanismus betrachtet werden kann. Sein Neurotechnologie-Unternehmen „Neuralink“ führt seit 2023 klinische Studien durch, um das menschliche Gehirn durch Chips mit Computern zu verbinden; sein Raumfahrtunternehmen „Space X“ hat die Welt mit einer Wolke aus tausenden Kommunikationssatelliten überzogen (Projekt „Starlink“) und bereitet mit zum Teil wiederverwendbaren, landefähigen Raketen den Aufbruch zum Mars vor.
Musk „hat sich an der Spitze oder in der Nähe der Spitze der Branchen positioniert, die für die Kontrolle der Geopolitik erforderlich sind“, schreibt der US-amerikanische Rechtsanwalt und Journalist Seth Abramson in einem Essay, „Robotik, KI, Biotechnik, Satellitenkommunikation, Massentransport, internationale Diplomatie, grüne Energie –, nur die vernetzten Märkte fehlen ihm noch, die er mit X als so genannte »App für Alles« erschließen will.“
Abramson hat sich jahrelang intensiv mit der Biographie Musks, mit dessen Leben und Geschäften befasst, und kommt zum Schluss, dass der Milliardär „die gefährlichste Kombination“ verkörpere, die man sich vorstellen könne: Er sei ein „narzisstischer Transhumanist“: „Ich sehe kein schlüssiges Argument dafür, dass er etwas anderes ist als der gefährlichste Mann der Geschichte. Er ist drogenabhängig, empfindet keine Empathie, ist ein weißer Rassist, der reichste Mann der Welt, ein Medienanalphabet, ein pathologischer Lügner, skrupellos, ein Betrüger und, offen gesagt, (bis auf ein Fach) kaum gebildet.
Aber nichts von alledem macht ihn wirklich unheimlich. […] Seine Soziopathie erreicht ein bislang unbekanntes Ausmaß, weil er gegenüber der Menschheit, wie sie heute existiert, keine Verantwortung fühlt. […] Mit anderen Worten: Er würde es zulassen, dass die gesamte Menschheit untergeht, solange er und sein Sohn X überleben können. Alles andere ist unwichtig.“
Hohlheit und bitteres Ende
Digitale Unsterblichkeit, Eroberung des Weltraums, Herrschaft über die Materie … Vielleicht wird in der allernächsten Zukunft – wie schon oft in der Geschichte der Menschheit: unter großem Leid – wieder einmal eine Utopie zur Spitze getrieben, deren Hohlheit sich erst im bitteren Ende offenbart.
Es gäbe auch einen anderen Weg zur Unsterblichkeit. Er führt über das Bewusstsein, nicht über den Körper. Er führt in den metaphysischen Himmel, nicht in den physischen. Er liegt im Überirdischen, nicht im Außerirdischen.
Doch das blendende Licht moderner Unsterblichkeits-Utopien bewirkt offensichtlich eine Art Seelenblindheit. In seinem Wahn erkennt der Mensch selbst nicht mehr.
Ein Beitrag von Werner Huemer